Die dunkelste Vorstellung von Ella Smoke. Auf dem Cover ist ein düsterbuntes Zirkuszelt zu sehen, von dem bunter Rauch nach oben steigt. In der Mitte stehen in roten Buchstaben Titel und Name der Autorin. Die Buchstaben sind mit gelben Punkten besetzt, die wie kleine Lämpchen wirken. Unten rechts das Logo des ohneohren-Verlags.

Kurzmeinung: Düsterer Steampunk-Roman mit Hoffnungsmomenten, allerdings auch mit einem holprigen Schreibstil und einigen Logik-Löchern.


Auf dieses Buch hatte ich mich gefreut, denn mit Geschichten über unheimliche Zirkusse kriegt man mich eigentlich immer. Dazu noch das Thema der menschenverachtenden Freakshows, das hier im Rahmen eines Steampunk-Settings aufgearbeitet wird – das hatte mich schon in der Anthologie Hereinspaziert! fasziniert. Deshalb war ich umso gespannter darauf, jetzt einen ganzen Roman darüber lesen und tiefer in diese düsteren Abgründe eintauchen zu können.

In der Geschichte geht es um Grace, die von ihrem einflussreichen Onkel an eine dieser Freakshows verkauft wird. Als Kleinwüchsige soll sie dort die neue Hauptattraktion werden. Dabei findet sie sich jedoch nicht einfach mit ihrem Schicksal ab, sondern sucht fieberhaft nach einem Ausweg. Begleitet wird sie von ihrem mechanischen Hund Klick-Luck (ein sehr süßes Konzept!), und sie lernt die anderen „Freaks“ und das Zirkuszelt kennen, bis sie schließlich selbst in die Manege muss …

Was ich in diesem Buch am stärksten finde, sind die Figuren. Vom fiesen Onkel über den grausamen Zirkusdirektor bis hin zu den „Freaks“, die am menschlichsten von allen erscheinen. Sie alle wirken zwar recht überzeichnet (vor allem die ‚bösen‘ Figuren, die wirklich aus nichts anderem als ihrer Bösartigkeit zu bestehen scheinen), aber das fügt sich erstaunlich gut in die Dreadpunk-Umgebung ein. In meinem Kopf lief dabei die ganze Zeit ein düsterer Zeichentrickfilm mit. An der Stelle möchte ich meine Lieblingsfigur erwähnen: Soutaine! Auch wenn sie nur eine kleine Nebenrolle einnimmt – ihre Hintergrundgeschichte ist ebenso grausam wie auf düstere Weise faszinierend.

‚Auf düstere Weise faszinierend‘ trifft eigentlich auch diese Geschichte an sich ganz gut – ich mag die düsteren Momente, die Schatten, die Spiegel, die Grausamkeiten, aber auch den Zusammenhalt unter den Zirkusmenschen, die kleinen Hoffnungsmomente und die Details, die diese dunkle Welt so lebendig machen. Es wird schnell klar, dass die wahren Monster die Menschen sind, die im Publikum sitzen und diejenigen begaffen, die nicht in ihr beschränktes Weltbild passen.

Auch wenn ich die Story an sich mag, bin ich mit der Erzählweise nicht wirklich warm geworden. Gerade im ersten Drittel ist es mir schwergefallen, Begeisterung für die Geschichte aufzubringen, denn es zieht sich alles sehr. Eigentlich geht es in den ersten 80 Seiten nur darum, dass Grace’ Onkel sie an den Zirkus verkaufen will. Dazwischen sind einige Rückblenden zu Grace’ Kindheit gestreut, die aber in der Form (jedes 2. Kapitel ist eine Rückblende) nicht durchgezogen werden und leider auch nur wie Füllmaterial wirken. Sie reißen die Handlung in der Gegenwart sehr auseinander und ziehen sie in die Länge.

Später wird es zum Glück spannender, aber das nächste Drittel besteht auch nur daraus, dass Grace sich im Zirkuszelt umsieht und die anderen „Freaks“ kennen lernt. Im letzten Drittel passiert einiges, dazu unten in der Spoiler-Sektion mehr. Insgesamt hat das Buch aber nicht viel Handlung. Das finde ich an sich nicht schlimm, wenn ich nur nicht das Gefühl hätte, dass hier Passagen künstlich gestreckt worden wären, um auf Roman-Länge zu kommen. Der Danksagung ist zu entnehmen, dass dieser Text (oder zumindest das Konzept?) zunächst eine Kurzgeschichte war. Mit dem Wissen ergibt das alles leider Sinn.

Mit dem Schreibstil konnte ich auch nur wenig anfangen. Er wirkt oft hölzern, durch z.B. wenig Variation in der Satzstellung und Wörter wie „aufgrund“, „da“ oder „dies“. Oft wirken die einzelnen Sätze wie ein Flickenteppich zusammengesetzt, was auch dadurch verstärkt wird, dass Absätze teilweise nur aus einem einzigen Satz bestehen. Sowohl sprachlich als auch inhaltlich kommt es häufig zu Wiederholungen und Widersprüchen, sodass ich manchmal den Eindruck habe, der Text sei Satz für Satz geschrieben worden, ohne sich die vorherigen Sätze noch einmal durchzulesen. So stellt sich Grace der Zirkus-Crew z.B. mit Namen vor, obwohl sie das auf der Seite davor bereits getan hat.

Bezeichnend für diesen Kritikpunkt ist auch die Szene, in der sie Klick-Luck auf dem Schrottplatz findet: Dort sinniert sie an einer Stelle über die heutige Wegwerfgesellschaft, als hätte sie das nicht drei Seiten zuvor schon getan. Sie kritisiert, dass Menschen kaputte mechanische Haustiere einfach wegwerfen, anstatt sich die Zeit zu nehmen, sie zu reparieren – ein paar Zeilen später sagt sie aber, dass das Reparieren unmöglich sei, weil die passenden Ersatzteile oft nicht mehr vorhanden sind. Ja, was denn nun?

Außerdem ergeben sich für Grace im Zirkus verdächtig viele Gelegenheiten, in Ecken herumzuschnüffeln, in denen sie nichts zu suchen hat. Sie ist noch neu und wird schon zu Beginn als jemand erkannt, der sich so schnell nicht geschlagen gibt. Trotzdem wird sie von ihren Aufpasser*innen so oft allein gelassen, dass es unglaubwürdig wirkt.

Ab hier: Spoiler!

Der Twist am Ende hat mich wirklich überrascht, im positiven Sinne. Die Idee, dass die „Freaks“ selbst den Zirkus mithilfe der Marionette des toten Zirkusdirektors betreiben, fand ich genial! Sie nehmen die geifernde Meute finanziell aus und ernähren sich am Ende auch noch von ihrem Hass, herrlich.

Mit dieser Auflösung ergeben aber viele andere Dinge keinen Sinn.

Das Offensichtlichste: Die Zirkus-Gruppe zieht also seit Jahrzehnten durchs Land und ermordet bei jeder Vorstellung das gesamte Publikum. Ist das nie jemandem aufgefallen? Laut Grace’ Beobachtungen sind die Zuschauer*innen überwiegend gutbetuchte Leute, vermutlich haben sie auch Einfluss wie ihr Onkel. Hat die nie jemand vermisst? Hat nie jemand eins und eins zusammengezählt und ist darauf gekommen, dass mehrere verschwundene Menschen die Gemeinsamkeit hatten, dass sie eine Zirkusvorstellung besuchen wollten? Warum ist der Zirkus nicht längst ins Visier von Ermittlungen geraten?

Warum wurde Grace gezwungen, Klick-Luck zu töten? Einen grausamen Zirkusdirektor würde das sehr gut charakterisieren, aber nach dieser Auflösung wird klar, dass die Zirkus-Crew dahintersteckte. Warum haben sie das durchgezogen? Warum war es ihnen wichtig, dass Grace ihren Hund tötet? Damit sie den Direktor als möglichst echt und grausam wahrnimmt? Aber warum? Die Crew wollte sie nach der Vorstellung doch ohnehin wieder gehen lassen – warum dann diese Grausamkeit durchziehen?

Diese Szene fand ich übrigens nur beinahe herzzerreißend, denn ich war vor allem irritiert darüber, wie dieser Hund funktioniert. Erst erklärt Grace, dass er im Grunde einschläft, wenn man den Schlüssel abzieht, man ihn aber wieder aufwecken kann, indem man ihn wieder aufzieht. Dann zieht sie den Schlüssel ab und reagiert so, als hätte sie ihn dadurch gerade getötet.

Was ich außerdem wackelig finde, ist der Fluch an sich. Die Quintessenz ist im Grunde: ‚Cala von der Zirkus-Crew hat in Todesangst spontan einen Fluch ausgesprochen und seitdem ist die Crew ans Zirkuszelt gebunden und muss sich von den Seelen der Zuschauer*innen ernähren.‘ Hm. Und dann kommt Grace und bricht den Fluch, weil … sie eine Person ist, die für sich selbst einsteht. Das wirkt auf mich leider alles sehr beliebig.

Da hilft es auch nichts, dass die Geschichte mit Grace’ Feststellung endet, es werde wohl immer ein Rätsel bleiben, was von den Ereignissen dieser Nacht wirklich passiert sei und was sie sich nur eingebildet habe. Im Gegenteil, das ist für mich ein fauler Trick, so nach dem Motto: ‚Wenn die Lesenden etwas davon zu unglaubwürdig finden, dann kann einfach darauf verwiesen werden, dass Grace sich das eben nur eingebildet hat.‘

Die restlichen Umstände des Endes mag ich aber wieder, und ich finde es toll, dass Grace und Sol nach ihrer Begegnung im Zirkus zusammenkommen, und dass Grace ihrer Vorgängerin endlich zur ewigen Ruhe verhilft. So ein hoffnungsvoller Schluss tut nach allem, was sie erlebt hat, sehr gut.

3/5 Kupferschnauzen

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