"Our Wives Under the Sea" von Julia Armfield auf einem PocketBook E-Reader. Auf dem Cover ist ein Mensch hinter einer Scheibe abgebildet, dessen Gesicht nicht zu erkennen ist, weil an der Scheibe Wasser herunterläuft. Der Name der Autorin steht über dem Gesicht, der Titel darunter. Das Bild ist von einem schmalen dunklen Streifen umrahmt. Im unteren Teil dieses Streifens stehen Auszüge aus Kritiken: "Essential and haunting" - Stylist. "One of my favorite writers" - Florence Welsh. "Weird and wonderful" - The Times.

Kurzmeinung: Ein Roman mit spannender Prämisse, der sich leider in eine andere Richtung entwickelt als versprochen und dabei sehr viel Potential verschenkt.


Das ist einer der Romane, deren Klappentext mich sofort angesprochen hat. Eine Protagonistin mit einer Ehefrau, die nach einer schief gelaufenen U-Boot-Expedition in die Tiefsee völlig verändert wiederkommt? Darin habe ich so tolles Horror- und Konfliktpotential gesehen, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte, dieses Buch nicht zu mögen.

Leider wurde ich trotzdem enttäuscht. Denn das Buch war für mich vor allem langweilig. Und das hat viel damit zu tun, dass Text und Reviews auf dem Buchrücken Erwartungen wecken, die nicht erfüllt werden. The Times wird z.B. zitiert mit: “Part bruisingly tender love story, part nerve-clanging submarine thriller.“ Das mit der Liebesgeschichte stimmt. Das mit dem U-Boot-Thriller nicht. (Hier trauriges U-Boot-Thriller-Fan-Geräusch einfügen.)

Es geht auch um Leah, die Ehefrau der Protagonistin Miri und Meeresbiologin, die sich nach ihrer Rückkehr von ihrer Tiefsee-Expedition seltsam verhält, kaum isst und spricht, ständig überall in der Wohnung die Wasserhähne laufen lässt und nur noch gesalzenes Wasser trinkt. Die aus der Nase und aus den Poren blutet, deren Haut sich auf seltsame Weise verändert, die zunehmend Schwierigkeiten hat, sich in der Welt zu bewegen.

Aber dazu gibt es scheinbar nicht sonderlich viel zu sagen, denn Erzählerin Miri gibt lieber Anekdoten aus ihrer Vergangenheit zum Besten. Zu einem gewissen Grad verstehe ich das: Miri will sich ablenken und schwelgt lieber in Erinnerungen, als sich der Gegenwart zu stellen. Und auch aus narrativer Sicht ist es sinnvoll zu wissen, was Leah vor ihrer Expedition für ein Mensch war, um den Schrecken ihrer Veränderung zu erkennen. Wenn Miri aber dann zum vierten Mal anfängt, von ihrer verstorbenen Mutter zu erzählen, die mit der ganzen Geschichte absolut nichts zu tun hat, oder wenn sie sich in Party-Anekdoten ergeht und aufzählt, wer dort alles war und was es zu essen gab – dann habe ich das Gefühl, dass ich es eigentlich mit einer Kurzgeschichte zu tun habe, die mühsam auf Romanlänge gestreckt wurde.

Dadurch fühlt sich das Buch ziemlich lang an, obwohl es weniger als 200 Seiten hat. Und weil ständig irgendwelche Nebenschauplätze aufgemacht werden, habe ich zunehmend das Gefühl bekommen, die Autorin wolle von dem eigentlich interessanten Aspekt der Handlung ablenken. Nämlich von der Tatsache, dass Leah sechs Monate lang in einem U-Boot auf dem Meeresgrund festsaß und ihr dort irgendetwas total Schreckliches passiert ist, was sie völlig verändert wieder ausgespuckt hat.

Die Geschichte wird abwechselnd von Miri und Leah erzählt: Miri berichtet von ihrem neuen Alltag mit der veränderten Leah und schwelgt in den bereits erwähnten Erinnerungen; Leah berichtet parallel dazu schrittweise davon, wie ihre U-Boot-Mission schiefging. Dass Leahs Parts deutlich kürzer sind, ist ein weiterer Hinweis darauf, dass es eigentlich gar nicht so sehr um die U-Boot-Sache geht.

Und im Laufe des Lesens ist mir klargeworden, dass eigentlich Miri und ihre Verlustgefühle im Zentrum stehen. Die Tiefsee ist nur eine Art ästhetisches Hintergrundrauschen; Leah hätte genauso gut Soldatin sein können, die traumatisiert aus einem Krieg zurückgekehrt ist. Letztendlich ist all das nur eine Metapher dafür, einen geliebten Menschen schleichend an eine schwere Krankheit zu verlieren, die ihn sowohl physisch als auch physisch so sehr verändert, dass nichts mehr so ist wie früher.

Das kann natürlich auch eine interessante Geschichte sein. Mich als Horror-Fan (und speziell Fan von Unterwasser-Horror) hat es nur enttäuscht, dass das Potential der Prämisse nicht ausgeschöpft wurde und dass die für mich interessanten Aspekte zunehmend in den Hintergrund gerückt sind.

Es gibt aber auch einige Dinge, die ich mochte: Als erstes möchte ich da den Aufbau nennen, denn das Buch ist in fünf Teile gegliedert, die nach den Tiefseebereichen von oben nach unten benannt sind: Sunlight Zone, Twilight Zone, Midnight Zone, Abyssal Zone, Hadal Zone. Damit wird auch äußerlich das Gefühl des immer tieferen Sinkens ausgedrückt – sowohl wörtlich (Leah sinkt in ihren Parts mit ihrem U-Boot tatsächlich immer tiefer) als auch metaphorisch (Miri wird im Angesicht der veränderten Leah immer verzweifelter).

Und es gibt auch Aspekte der Geschichte selbst, die ich mochte: Einige Gedanken und Gespräche über Trauer und Verlust haben mich berührt. Besonders eine Stelle ist mir im Gedächtnis geblieben: Als Miri feststellt, dass es keine Selbsthilfegruppe für ihr sehr spezielles Problem (Ehefrau in der Tiefsee verschollen) gibt und sie Trost in einem Rollenspiel-Forum sucht, in dem Frauen sich Geschichten über ihre fiktiven im Weltall verschollenen Astronauten-Ehemänner ausdenken.

Ab hier: Spoiler!

Zum Ende hin hat mich die Geschichte wieder stärker gepackt und emotional abgeholt, nämlich als Leah langsam zu zerfließen droht und sich am Ende endgültig auflöst. Darin steckt so viel: Ein Loslassen, ein Abschließen, ein gegenseitiges Zueinander-Halten und eine Liebe bis zum letzten Atemzug. Das fand ich wirklich sehr schön und bittersüß!

Was mich allerdings frustriert hat, ist, dass am Ende absolut nichts aufgeklärt wird. Was ist denn nun am Meeresgrund passiert, das Leah so sehr verändert hat? Dank der Berichte aus ihrer Perspektive wissen wir das: Nichts. Erst fallen alle Systeme des U-Boots aus (außer dem überlebenswichtigen, ganz zufällig), dann sitzen Leah und ihre Crew ein halbes Jahr lang am Meeresgrund fest und werden bis an ihre psychischen Grenzen zermürbt, dann funktioniert plötzlich alles wieder, sie sehen noch kurz ein gruseliges Meereswesen und tauchen wieder auf. Leahs körperliche Veränderung wird nicht erklärt. Der mysteriöse Systemausfall und das ebenso mysteriöse Jetzt-funktioniert-plötzlich-alles-wieder nach Monaten in der Tiefe werden nicht erklärt. Es wird angedeutet, dass mit dem Forschungszentrum, das die Mission in Auftrag gegeben hat, etwas nicht stimmt. Die Leute dort wissen etwas, das alle anderen nicht wissen; sie scheinen das U-Boot manipuliert zu haben; sie scheinen der Crew nicht erzählt zu haben, was ihre wahre Mission ist. Aber was ist denn nun die wahre Mission gewesen? Was ist der Sinn dahinter? Warum verschwindet das Forschungszentrum am Ende, als habe es nie existiert? Und welche Bedeutung haben die merkwürdigen Phänomene, die die Crew in der Tiefsee bemerkt hat? Die geisterhaften Geräusche und Stimmen und der immer wieder erwähnte Geruch nach verkohltem Fleisch? All diese zentralen Fragen werden offen gelassen.

Die Geschichte kann, wie gesagt, auch als eine Metapher über Trauer und Verlust gelesen werden; als eine Geschichte, in der es gerade der Punkt ist, dass man mit ungeklärten Fragen und in einer quälenden Vagheit zurückgelassen wird. Dass nur noch der geliebte Mensch zählt und die gemeinsamen Momente, dass die Frage Was ist eigentlich passiert? irgendwann keine praktische Relevanz mehr hat. Nur dafür empfinde ich den Tiefsee-Hintergrund leider als viel zu interessant, um nicht frustriert darüber zu sein, dass er hier quasi links liegen gelassen wurde.

Deshalb finde ich auch, dass Leahs Parts dem Buch nicht guttun (und das sage ich als Person, die diese Passagen am spannendsten von allen fand): Sie wirken irgendwie gestellt, wie etwas, das nachträglich hinzugefügt wurde, um den Anschein einer Erklärung zu erwecken, obwohl in Wirklichkeit überhaupt nichts erklärt wird. Wenn es beabsichtigt war, die Lesenden – so wie Miri – in quälender Ungewissheit zu lassen, warum wurde Leahs Perspektive dann überhaupt einbezogen? So frustriert es mich nur stärker, weil ich bis zum Ende noch damit gerechnet habe, dass es irgendeine Erklärung geben wird. Denn wer wüsste besser, was mit Leah passiert ist, als Leah selbst? (Leider weiß sie es nicht, oder sie erzählt es uns zumindest nicht.)

Spoiler Ende!

Mir ist hier wieder klargeworden, dass mich Geschichten, die extrem stark character-driven sind, nicht so gut abholen können. Zumindest dann nicht, wenn die Handlung nur als eine Art Hintergrund-Deko für die Beziehungen und Konflikte der Figuren dient und nach Belieben zurechtgebogen wird, auch wenn es keinen Sinn ergibt.

Ich glaube, die Story hätte mich in Form einer Kurzgeschichte oder kürzeren Novelle weitaus mehr begeistern können. Sie hat wirklich einige sehr gute Momente, aber so musste ich mich zwischen ihnen durch einige Durststrecken (hahaha) quälen.

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