Kurzmeinung: Eine interessante und unheimliche Geschichte, die aber keine 1.500 Seiten lang hätte sein müssen.
Ich muss zugeben, mit Stephen Kings Büchern bin ich noch nie richtig warm geworden. Seine oftmals sehr ausgedehnte Erzählweise entspricht einfach nicht meinem Geschmack – ich stehe eher auf knappen, verdichteten Horror. Dennoch wollte ich Es eine Chance geben, weil mir die Idee einer unheimlichen Entität in Clownsgestalt in der Kanalisation gut gefällt und weil es einer dieser Klassiker ist, die ich gern mal gelesen haben möchte.
Vor einigen Jahren habe ich es schon mal versucht, aber nach etwa 200 Seiten (von 1.500) abgebrochen, weil ich mich furchtbar gelangweilt habe. King holt für diese Geschichte mehrfach enorm weit aus und geht sehr ins Detail – das war etwas, womit ich damals meine wenige wertvolle Freizeit nicht vergeuden wollte. Mittlerweile habe ich mehr Zeit und auch wieder mehr Lese-Ausdauer entwickelt, deshalb habe ich es noch einmal probiert. Irgendetwas musste an dem Hype um dieses Buch ja dran sein. Und zusammenfassend kann ich sagen: Es ist eine spannende Geschichte mit gut ausgearbeiteten Figuren und mehreren herrlich unheimlichen Momenten. Allerdings ist sie, wie gesagt, sehr langatmig erzählt.
Das Buch beginnt mit dem Mord an einem sechsjährigen Jungen durch eben jenes titelgebende Wesen, das in der Kanalisation haust. Dieser Einstieg ist sehr atmosphärisch geschrieben und hat mir gut gefallen.
Dann geht es weiter mit einem Abschnitt, der fast dreißig Jahre später spielt und in der das Wesen wieder auftaucht, allerdings nur als Randfigur eines schwulenfeindlichen Gewaltverbrechens. Gerade genüsslich scheint sich der Autor hier in den homophoben Einstellungen und Aussagen zu wälzen, die er seinen Figuren in den Mund legt. Das ist richtig unangenehm zu lesen. Schon nach dem dritten Mal habe ich verstanden, dass die gesamte Stadtbevölkerung von Derry, Maine, Homosexuelle gar abscheulich und ekelhaft findet, aber es wird noch ein viertes und fünftes und zehntes und zwanzigstes Mal wiederholt. Als ich das Buch zum ersten Mal gelesen habe, war ich geneigt, schon an dieser Stelle abzubrechen. Aber ich habe mich durchgequält in der Hoffnung, dass es in den nächsten Kapiteln besser wird.
Damit habe ich Recht behalten, allerdings hat mich das nächste Kapitel dafür ziemlich gelangweilt. Über fast 150 Seiten werden jeweils die Lebensgeschichten von sechs Menschen mittleren Alters erzählt, zu denen ich zu diesem Zeitpunkt noch gar keinen Bezug habe. Es sind die Menschen, die – wie sich später herausstellt – als Kinder das Böse in der Kanalisation bekämpft haben und nun als Erwachsene in ihre Heimatstadt Derry zurückkehren, um es erneut zu tun. Die Geschichte wird also quasi von hinten aufgerollt. Nichtlineare Erzählweisen mag ich eigentlich, aber hier werden mir wirklich erst ausführlich und nacheinander die wichtigen Figuren vorgestellt, bevor sie in eine Handlung gesetzt werden. Fans von akribischem Charakterdesign werden das vielleicht mögen; für mich hat es den Charme von Steckbriefen, die mir vor der eigentlichen Geschichte vor den Latz geknallt werden. An dieser Stelle habe ich das Buch damals abgebrochen.
Während also die sechs Erwachsenen sich auf den Weg nach Derry machen, um dort wieder aufeinanderzutreffen und das Böse zu bekämpfen, erinnern sie sich langsam wieder an das, was damals dort vorgefallen ist. Die Vorfälle: Mehrere sehr gelungen gruselige Szenen – Begegnungen mit dem Monster aus der Kanalisation, das jedem der Kinder in einer anderen unheimlichen Gestalt erschienen ist. All das ist leider jeweils eingebettet in sehr zähe Umgebungs- und Lebensbeschreibungen der Kinder, und es ist auch recht redundant: Nach einer Weile ist mir klar, dass jedes der damals sieben Kinder eine eigene unheimliche Begegnung mit dem Bösen hatte. Ich habe mich dabei erwischt, wie ich zurückgeblättert und mir gedacht habe: Ah ja, vier Kinder sind ihm schon begegnet, jetzt müssen ihm nur noch die drei anderen begegnen, bevor die Geschichte richtig weitergehen kann.
Die Aneinanderreihung von unheimlichen Begegnungen setzt sich auch fort, nachdem die sechs Freund*innen im Derry der Gegenwart wieder aufeinandertreffen. Ein Kapitel heißt sogar wortwörtlich „Sechs Spaziergänge“, und es ist schon vorher klar, dass jeder einzelnen Figur auf diesem Spaziergang irgendetwas Unheimliches passieren wird. Die Begegnungen sind zwar kreativ und unheimlich, aber das Ganze zieht sich über etwa einhundert Seiten und wirkt von oben betrachtet, als würde eine Checkliste abgearbeitet werden: Erst begegnet Ben dem Bösen, dann begegnet Eddie dem Bösen, dann begegnet Beverly dem Bösen, …
Im Laufe der Geschichte verschmelzen Vergangenheit und Gegenwart immer stärker; die Handlung der Vergangenheit verläuft quasi parallel zur der in der Gegenwart, das finde ich geschickt eingefädelt. Die generelle Langatmigkeit der Erzählung hat mich aber vor allem im letzten Drittel des Buches mehr und mehr frustriert. Es wird klar, dass es sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart zu einem großen Finale kommt, zu einer folgenreichen Begegnung der Figuren mit Es in der Kanalisation. Dieses Finale wird jedoch so stark hinausgezögert, dass ich den Eindruck hatte, der Autor wolle sich regelrecht vor dem Aufschreiben drücken. Immer wieder werden neue Nebenschauplätze aufgemacht, die zwar einzeln betrachtet nicht uninteressant sind, aber meist nur neue Indizien und Beispiele für das darstellen, was ohnehin schon bekannt ist. Ich brauche nicht noch die sechste und siebte ausführlich erzählte Anekdote aus der Historie von Derry, um zu verstehen, dass sich dort in regelmäßigen Abständen schreckliche Dinge zutragen.
Als es dann zum Finale kommt, verkehrt sich das ganze Szenario ins Surreale. Ich mag so etwas eigentlich, und das Konzept und die Beschreibungen haben mir hier auch gut gefallen. Allerdings stört mich das Tempo, besser gesagt wird hier noch deutlicher, wie langsam es bisher voranging: Während das Buch in den ersten 1.300 Seiten sehr ausgedehnt von Geschehnissen in der wirklichen Welt erzählt, verlagern sie sich in den letzten 200 Seiten plötzlich auf eine Makro-Ebene, die mit einem knappen Erklär-Teil eingeführt wird. An der Stelle habe ich gemerkt: Es funktioniert doch, die Story zu raffen, warum nicht gleich so? (Ja, ich rede über die Sache mit der Schildkröte.)
Und noch etwas, was sehr plötzlich kommt: Nachdem sie Es bekämpft haben, verirren sich die elfjährigen Hauptfiguren des Vergangenheits-Handlungsstrangs in der Kanalisation von Derry. Aber keine Sorge, das einzige Mädchen der Gruppe, Beverly, hat schon die Lösung parat: Die sechs Jungen müssen mit ihr Sex haben. Um das unsichtbare Band zwischen ihnen zu stärken oder so. Und, Spoiler: Das funktioniert. Danach fühlen sie sich alle wieder geistig gestärkt und wissen plötzlich den richtigen Weg durch das Labyrinth aus Abflussrohren. Ja, so habe ich auch geguckt. Mir ist schon bewusst, dass sich das gesamte Buch thematisch um Kindheit und Erwachsensein dreht, und dass dieser Akt symbolisch das Ende der Kindheit der Figuren darstellen soll, aber … come on, Mr. King! Es ist auch einer der wenigen Momente, die sich nicht organisch in den Rest der Handlung einfügen, sondern einfach komplett random wirken.
Was außerdem nicht unter den Tisch fallen soll: Das Buch ist „ein Kind seiner Zeit“, wie man so schön sagt. Mit anderen Worten: Es mangelt nicht an Rassismus, Queerfeindlichkeit, Sexismus, Antisemitismus und Fettfeindlichkeit. Zwar sind die Hauptfiguren als Sympathieträger*innen der Geschichte selbst von diesen Diskriminierungsformen betroffen oder hatten als Kinder andere Eigenschaften, die sie zu Außenseiter*innen und Mobbingopfern machten – nicht umsonst nannten sie sich „Klub der Verlierer“. Vor knapp 40 Jahren, als das Buch erschienen ist, war das vermutlich eine verdammt fortschrittliche Konstellation. Ob es allerdings wirklich notwendig ist, als weißer Autor so oft das N-Wort auszuschreiben oder sich auffällig lange in der Perspektive von unwichtigen Nebencharakteren aufzuhalten, die ständig zum Ausdruck bringen, wie widerlich sie Schwule finden …
Und obwohl ich als Leserin sehr viel Zeit mit diesen Figuren in ihrer Kindheit verbringe, werden sie doch immer wieder auf ihre „Außenseiter-Merkmale“ reduziert: Bill ist der Stotterer, Mike ist der Schwarze, Richie ist der vorlaute Brillenträger, Eddie ist der Asthmatiker, Ben ist der Dicke, Stan ist der Jude und Beverly ist das Mädchen. Der Autor scheint das Bedürfnis zu haben, seine Lesenden immer und immer wieder daran zu erinnern. Teilweise lesen sich Passagen wirklich wie: ‚Eddie umklammerte sein Asthma-Spray, Richie rückte seine Brille zurecht und Ben stand daneben und war dick.‘
Über Beverly gibt es vermutlich schon ganze Gender Studies-Abhandlungen, denn obwohl man ihre elfjährige Version aus heutiger Sicht als Tomboy bezeichnen könnte, wird sie oft auf ihre Weiblichkeit reduziert und sexualisiert. Und während die Jungen später Berufe ergreifen, die etwas mit ihren Interessen und Begabungen zu tun haben, wird Beverly … Modedesignerin.
Was ich am Ende auch noch erwähnen möchte, weil ich es enorm interessant finde: Das Verhältnis von übernatürlichem zu alltäglichem Horror. Es ist ein Grusel-Monster, wie es im Buche steht, aber im Kontrast dazu steht das, was die Hauptfiguren in ihrem realen Alltag zu bewältigen haben: Mobbing, Hass, gewalttätige oder apathische oder erdrückend überfürsorgliche Eltern. Oder das, was in der Stadt Derry selbst passiert: Eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Morden, tragischen Unglücken und Hassverbrechen, mit denen Es immer wieder in Verbindung gebracht wird. Es wird somit auch eine Metapher für den Hass und die Gewalt, die die US-amerikanische Gesellschaft durchzieht.
Trotz der Kritikpunkte habe ich das Buch gern gelesen, und trotz der bereits erwähnten Langatmigkeit habe ich mich nach der Einführung der Figuren nicht mehr so sehr gelangweilt, dass ich nah drangewesen wäre, das Buch erneut abzubrechen. Letztendlich ist es eine spannende und geschickt aufgebaute Geschichte, die mich eine ganze Weile durch meinen Alltag begleitet hat.
4/5 Mörder-Clowns
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