Kurzmeinung: Durchwachsene Horror-Kurzgeschichten mit einigen spannenden Elementen, aber auch ein paar ernüchternden Enden.


Dieses Buch enthält neun Kurzgeschichten, bei denen es teilweise sehr brutal zur Sache geht – Gewalt gegen Neugeborene, grausamste Verstümmelung, Vergewaltigung, Blut-Orgien. Das Ganze jedoch eingebettet in einen düsteren Stil und interessante Ideen, sodass nichts davon billig oder überzogen wirkt (außer in der letzten Geschichte, aber dort scheint es Absicht gewesen zu sein). Die meisten Geschichten fand ich auch durchaus spannend zu lesen, aber sie haben mich überwiegend mit einem „Hm“-Gefühl zurückgelassen: Sie sind nicht schlecht, aber irgendwie auch nicht wirklich gut. Sie starten meist mit interessanten Aussichten, aber am Ende bleibe ich meist ein bisschen ernüchtert zurück.


Zu den einzelnen Texten:

Die erste Geschichte, Melissa – Ein Verhörprotokoll, ist gleich die Brutalste: Es geht um den Tod und die grausamste Verstümmelung von neugeborenen Kindern. Durch die Aussagen einer Zeugin entfaltet sich die grausame Geschichte eines Arztes und seiner Frau, die nach dem Tod ihrer Tochter in einen gewaltsamen Wahn verfällt. Sehr eindringlich und schockierend geschrieben, mit einer Grundidee, auf die man erst mal kommen muss, Hut ab dafür. Es hat mich nur ein wenig gestört, dass am Ende der Geschichte kein Bogen mehr zum Anfang geschlagen wurde, denn eigentlich wurde  die Zeugin ursprünglich zu einem Hausbrand der Familie befragt, der nach ihren grausamen Berichten aber nicht mehr aufgegriffen wird.

Siechtum ist ein kurzer und ebenso vager Text, in dem es wohl irgendwie um ein Endzeitszenario, Liebe und Verrat geht. Es wirkt wie eine skizzenhafte Schreibübung, die ich inhaltlich nicht wirklich greifen kann.

Die titelgebende Geschichte Der Fluch der Dunkelgräfin startet sehr düster und atmosphärisch, mit einer Frau, die sich in einer grausamen Gefangenschaft bei einem Grafen befindet. Im Laufe der Geschichte findet sie heraus, warum ihr dieses Schicksal zuteil geworden ist – das ist ganz spannend zu lesen, und auch die einzelnen Albtraum-Szenarien, in denen ihr der Teufel selbst als „der dunkle Herr“ erscheint, fand ich sehr gelungen. Allerdings bleibt mir ihre Gefangenschaft selbst zu vage und letztendlich unbefriedigend: Am Anfang ist sie gefangen und leidet, dann findet sie heraus, warum sie gefangen ist und leidet, und am Ende ist sie immer noch gefangen und leidet. Zwar macht sie durchaus eine Entwicklung durch, die sich letztendlich darin verflüchtigt, dass sich an ihrer Situation nichts ändert. Außerdem erschien mir der Stil hier an einigen Stellen zu angestrengt altertümlich.

Ab ins Grüne kommt stilistisch viel moderner daher und scheint auch in der Gegenwart zu spielen. Die Protagonistin Anna lebt zurückgezogen und hält nicht sonderlich viel von Menschen, dafür liebt sie ihre vielen Zimmerpflanzen umso mehr, die sich bald zu einer tödlichen Bedrohung entwickeln. Ich mag es, wenn alltägliche Dinge im Horror eine ungeahnte Bedrohlichkeit entwickeln, und die Grundidee der mörderischen Pflanzen hat mir auch gut gefallen – allerdings erscheinen sie mir in der Geschichte selbst zu konstruiert. Anna liest einen Artikel darüber, dass Forschende die „Unterhaltungen“ von Pflanzen ausgelesen haben, mit gruseligem Ergebnis. Bei einem gewissen Satz lief es mir kalt den Rücken runter – diese Geschichte in der Geschichte fand ich sehr gelungen! Die Horror-Entwicklung von Annas eigenen Zimmerpflanzen beginnt aber jetzt zufällig genau nachdem sie diesen Artikel gelesen hat, und ganz zufällig ist es auch der eine Satz aus dem Artikel, den eine Stimme aus den Pflanzen ihr zuflüstert. Oder zuzuflüstern scheint, denn Anna ist sich der Absurdität dessen durchaus bewusst und macht sich klar, dass das „Verhalten“ ihrer Pflanzen sicher nur Einbildung oder ein Albtraum ist. Was es am Ende genau ist, soll wohl offen bleiben, aber es gibt keine Anhaltspunkte, warum die Pflanzen ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt anfangen sollten, ihr unheimliches Gesicht zu zeigen. Dass sie brav gewartet haben, bis ihre Besitzerin einen gruseligen Pflanzen-Artikel gelesen hat, erscheint doch recht abwegig.

Zombierkalypse ist eine Geschichte bestehend aus drei Teilen, die Menschen an verschiedenen Orten einer Zombie-Apokalypse zeigen. Der Ton ist hier deutlich lockerer als in den vorangegangenen Texten und soll wohl auch witzig wirken – vielleicht funktioniert das ja beim Vorlesen besser (laut Anmerkung der Autorin wurde die Geschichte ursprünglich für ein Spoken Word-Event geschrieben), in Textform hat es mich jedenfalls nicht vom Hocker gerissen. Nur die letzte Geschichte fand ich ein bisschen lustig, denn die Hauptfigur flieht vor den Zombies in eine abgelegenen Waldhütte, scheitert aber kläglich an den Herausforderungen des Waldlebens.

Kronos berichtet von einem Apotheker, der als Hobby-Astronom einen neuen Planeten entdeckt und zunehmend von dem Gedanken besessen wird, dass eben dieser Planet auf die Erde hinabstürzen und die Menschheit auslöschen wird. Ich bin ein großer Fan von Weltraum-Horror, aber vielleicht gerade deshalb konnte mich die Geschichte nicht wirklich mitnehmen, denn es geht hier deutlich einzig um den Wahn des Protagonisten, der jeglicher Grundlage entbehrt. Es ist zwar ganz interessant zu lesen, wie er immer weiter dorthin abrutscht, aber irgendwie fehlt es mir dabei an echter Tiefe.

Trip erzählt im wahrsten Sinne des Wortes von einem Horrortrip auf Drogen, den der Protagonist durchlebt. Ich mag das surreale Szenario, das sich um ihn herum aufbaut, und die Art und Weise, auf die Realität und Rausch immer wieder verwischen. Allerdings habe ich hier ein ähnliches Problem wie bei „Ab ins Grüne“: Der Protagonist ist sich der Tatsache über-bewusst, dass die Dinge um ihn herum nicht real sein können und dass er gerade nur einen Drogentrip durchmacht, aber zum Ende hin wird angedeutet, dass das – extrem spezifische und überzeichnete – Horrorszenario wahrscheinlich doch wirklich passiert ist. Das ist für mich einfach ein fauler Twist.

Emmi ist wahrscheinlich meine Lieblingsgeschichte in dieser Sammlung: Hier gibt es eine interessante Figurenkonstellation und einen hohen Gruselfaktor. Die Protagonistin ist ein Dienstmädchen mit einer Obsession für Emmi, die Tochter des Hauses. Während sie Emmi heimlich beobachtet, bemerkt sie den Mann, der Nacht für Nacht durch ihr Fenster steigt und sich an ihr vergeht. Die Protagonistin beschließt, sie zu retten – mit fatalen Folgen. Gerade die Schilderung des gruseligen Mannes und das Ende fand ich unheimlich (im wahrsten Sinne des Wortes) gelungen.

Der lange Weg nach Hause ist die längste Geschichte und könnte vermutlich auch ein eigenes kleines Buch sein. Dieser Text konnte mich mit seinen unheimlichen Phänomenen am schnellsten fesseln; außerdem wird hier aus den Perspektiven unterschiedlicher Figuren berichtet, deren Schicksale miteinander verbunden sind und deren Geschichten sich wie Puzzleteile zusammensetzen – diesen Aufbau finde ich immer unglaublich spannend. Auch hier baut sich alles um ein Phänomen auf, ein Wesen aus einer anderen Entität, das einen Weg nach Hause sucht. Besonders faszinierend fand ich dabei das hungrige Buch, das erst Informationen preisgeben will, wenn es gefressen hat – ein tolles Konzept! Die riesige Blutorgie am Ende ist sicher Geschmackssache. Mein Fall war es nicht, wo die Geschichte doch mit so subtilem Horror aufgebaut wurde.


Insgesamt eine durchwachsene Sammlung von Horror-Geschichten mit einigen guten Ideen, die man mal lesen kann – aber nicht muss.

3/5 mordlustigen Zimmerpflanzen

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