E-Book: Der Sommer trägt Queer. Um den Titel ist ein Kreis gemalt, von dem Strahlen abgehen, sodass es wie eine Sonne aussieht. Über dem Titel das Wort Anthologie, darunter das Logo des Elysion Verlags.

Kurzmeinung: Queere Kurzgeschichten, von denen viele ganz süß sind, einige aber auch voller Klischees.


Ich habe die Beobachtung gemacht, dass es zwei Arten von queeren Geschichten gibt: Geschichten für queere Menschen und Geschichten über queere Menschen. Bei ersterer ist die Queerness der Figuren einfach da und muss nicht erklärt werden. Bei zweiterer geht es eher darum, queere Menschen aus einer nicht-queeren Perspektive zu betrachten und Akzeptanz für ihr „Anderssein“ zu fördern. (So nach dem Motto: Schaut mal, diese Schwulen/Lesben/trans Menschen etc. sind gar nicht so anders als wir!) Solche Texte sind oft wohlwollend geschrieben, stellen Queerness aber klar als eine Abweichung von der eigenen Norm dar (und reproduzieren leider häufig auch Stereotype).

Beide Arten haben – je nach Zielpublikum – ihre Daseinsberechtigung. Umso mehr hat es mich irritiert, dass in dieser Anthologie beides bunt durcheinandergemischt wird. Zwischen denselben zwei Buchdeckeln wohnen gleichzeitig zuckersüße Liebesgeschichten, Geschichten über spezifische queere Erfahrungen, in denen ich mich wiederfinden konnte – und auch Geschichten, in denen z.B. eine Frau der Protagonistin verschämt „Ich bin ein Transgender“ ins Ohr flüstert.

Auch handwerklich schwankt die Qualität der Texte enorm. Einige wirken sehr professionell, andere recht anfänger*innenhaft. So ein breites Spektrum habe ich bisher bei keiner anderen Anthologie erlebt.

Zu den einzelnen Texten:

In Großstadtherzen schlagen anders von Vanessa Schönhardt haben Ava und ihre Mitbewohnerin Ellie genug von fürchterlichen Dates mit Männern – und beschließen, sich einfach gegenseitig zu daten. Das mag ich sehr! Am Ende kommt auch noch die dritte Mitbewohnerin der WG dazu, und sie führen von da an eine glückliche Poly-Beziehung. Da wird mir richtig warm ums Herz, denn davon handeln queere Geschichten viel zu selten. Auch die Freude der Protagonistin über die Erkenntnis, dass es andere Beziehungsformen gibt als mono-hetero, hat mich berührt. Nur die Entstehung der Poly-Beziehung ging mir etwas schnell, denn sie verlief nach dem Motto: ‚… und dann kam Emily auch noch dazu und sie lebten glücklich zusammen.‘

Heldenreise mit Haarbürste von Marie Meier startet in einem Friseursalon, in dem die Protagonistin arbeitet und ihre heldenhafte Reise hin zu einer Beziehung mit ihrer Arbeitskollegin beginnt. Die Geschichte ist sehr gut geschrieben, und ich mag die Metapher der Heldenreise. Auch die Nebenfigur Frau Kellner mag ich, eine Kundin des Friseursalons und trans Frau, die von ihrer Rolle als Herr Kellner berichtet, in die sie für ihren langweiligen IT-Job regelmäßig schlüpfen muss.

Was sein könnte von Julia List erzählt von zwei Frauen, die sich in einem Wanderurlaub kennen lernen und beinahe etwas miteinander anfangen, es dann aber doch bleiben lassen. Ich mag es, dass auch solche Geschichten erzählt werden, in denen die Menschen am Ende nicht zusammenkommen und glücklich miteinander sind. Sondern merken, dass es doch nicht passt, aber ihre Begegnung trotzdem als bereichernde Erfahrung im Gedächtnis behalten.

Die Protagonistin aus Summer of Ninetysix von Julia Dankers bricht nachts mit ihren Freunden ins Freibad ein, um nackt vom Sprungturm zu springen. Dabei werden sie von der Polizei erwischt, aber zwischen der Protagonistin und einer Polizistin knistert es heftig. Ich mag die erotische Spannung und das Springen vom Sprungturm als Metapher für das Überwinden der eigenen Ängste und Hemmungen, auch wenn das alles extrem schnell geht und klar eine idealisierte erotische Fantasie ist.

Stallgeflüster von Pamela Murtas ist eine vorhersehbare Enemies to Lovers-Geschichte, die für meinen Geschmack zu klischeehaft ist. Auch den Schreibstil finde ich recht unbeholfen. Aber die Erotik im Pferdestall hat schon was, und ich mag das Ende mit dem alten Stallmeister, der sich für die beiden verliebten jungen Männer freut und aufgepasst hat, dass sie im Stall niemand stört.

Frau und Herrchen von Regina Schleheck ist ein richtiger Boomer-Text, der mir nicht gefallen hat, denn er ist geprägt von einem klischeehaften, heteronormativen Geschlechterbild. Während ich bei den bisherigen Texten den Eindruck hatte, sie seien vor allem für queere Menschen geschrieben, ist dieser hier wohl eher für ein wohlwollend-konservatives cis-hetero-Publikum geschrieben.
Der Protagonist ist ein Mann, der die Nase voll hat von seiner Frau. Er beginnt, seine Freizeit zunehmend mit einer Arbeitskollegin verbringt, die er sehr schätzt, weil sie viele – in seinen Augen – typisch männliche Eigenschaften hat (redet wenig, mag Fußball, kann körperlich anpacken, „zimperte nicht rum“). Diese „Kollegin“ outet sich am Ende als trans Mann. Die Reaktion des Protagonisten: Er akzeptiert das, wundert sich aber darüber, denn der Kollege sei ihm doch immer „so normal“ vorgekommen. Er gibt ihm außerdem in Gedanken einen männlichen Namen, der lediglich eine Abwandlung seines weiblichen Namens ist. Am Ende realisiert der Protagonist, dass er seine Frau doch ganz gern hat und verbringt weniger Zeit mit seinem Arbeitskollegen. Es wird nicht direkt so gesagt, aber nach dem Outing wendet er sich klar von ihm ab. Sehr ernüchternd.

Ausbruch, Aufbruch von Oliver Fahn erzählt von einem Mann, der seine Frau und seine zwei Kinder nach 20 Jahren Ehe verlässt – angeblich, weil er eine andere Frau kennen gelernt hat. Schnell wird allerdings klar, dass es diese Frau gar nicht gibt, und über viel zu viele Seiten ergeht sich der Protagonist in einem vagen Selbstmitleid über seine Situation. Das ist ziemlich öde und stellenweise so überdramatisiert, dass es fast schon wie eine Midlifecrisis-Parodie wirkt. Erst später kommt heraus, was der wirkliche Grund für die Trennung war: Der Protagonist steht eigentlich auf Männer. Nach einer Weile traut er sich auch, seinen ehemaligen Mitschüler anzurufen, in den er vor über 20 Jahren mal verknallt war und mit dem er seit seiner Schulzeit nichts mehr zu tun hatte. Wenige Sätze später sind die beiden ein Paar. Das ist einfach nur absurd unglaubwürdig.

Hitzeflimmern von Yara Loos ist eine Momentaufnahme von einer queeren Freundesgruppe, die an einem heißen Tag Spaß in einem Fluss hat. Ich mag es, dass auch queere Freundschaften mal thematisiert werden, und ich freue mich immer über Hauptfiguren, die aromantisch/asexuell sind. Nach meinem Geschmack hätte der Text ruhig noch ein bisschen mehr in die Tiefe gehen können – so besteht er hauptsächlich aus Wiederholungen der Tatsache, dass es furchtbar heiß ist, und abgesehen vom besten Freund der Protagonistin bleiben die anderen Freund*innen nur vage Hintergrund-Deko.

Die Grundidee von Der Sommer, in dem ich zu mir selbst fand von Luna Day mag ich eigentlich: Eine alleinerziehende Mutter trifft im Schwimmbad auf eine Frau, die mit ihrer Nichte unterwegs ist. Die beiden Frauen kommen sich näher, eine outet sich zu Beginn der Geschichte als trans, und die andere bestärkt sie und steht für sie gegen Transfeindlichkeit ein. Die Umsetzung lässt allerdings sehr zu wünschen übrig: Der Text ist unbeholfen geschrieben und strotzt vor stilistischen Schnitzern, Rechtschreib- und Grammatikfehlern. Auch die Art, wie mit Transgeschlechtlichkeit umgegangen wird, finde ich mindestens ungeschickt: Schon nach einem kurzen Gespräch outet sich die neue Bekannte der Protagonistin, indem sie ihr verschämt „Ich bin ein Transgender“ ins Ohr flüstert. Das Wort „transgender“ ist ein Adjektiv und wird als Substantiv („ein Transgender“) hauptsächlich abwertend verwendet. So wirkt dieses Outing nahezu wie eine Parodie. Auch die Nachfragen, ob die Protagonistin damit wirklich kein Problem habe und deren Beteuerungen, dass ihr das egal sei und alle Menschen so leben sollten, wie sie sich wohlfühlen, wirken überzogen. Wahrscheinlich hat es auch etwas damit zu tun, dass die Dialoge generell sehr gestelzt klingen. Die meisten meiner Kritikpunkte sind Dinge, die ein solides Lektorat/Korrektorat eigentlich hätte beheben müssen.

In Resa, wirklich! von Mila Münchow verbringt ein ungeouteter trans Junge die Ferien bei seiner Oma und wird dort sehr in eine weibliche Rolle gepresst. Zum Glück merkt seine Oma am Ende doch, dass er das Blümchenkleid überhaupt nicht leiden kann, und er findet einen neuen Freund, der ihn akzeptiert. Das gefällt mir gut!

Grünes Gras im Sommerschauer von A. Patros handelt von zwei Studenten, die sich im Sommer langsam näherkommen. Das ist ganz süß, aber recht unspektakulär und liest sich durch die monotonen Sätze und gestelzten Dialoge leider auch recht langweilig.

In Sunset, sunset von Lily Magdalen schauen sich zwei Frauen in einer Fernbeziehung nacheinander gemeinsam die beiden Sonnenaufgänge an ihren jeweiligen Wohnorten an. Das gefällt mir gut und ist auch poetisch geschrieben. Allerdings irritiert mich der erste Teil der Geschichte: Darin sprechen die beiden sehr offen und ausführlich über ein Problem, das mir als Leserin schleierhaft bleibt.

Konzertsommer von Jule Heer erzählt von einer Studentin und einer berühmten Sängerin, die sich aufgrund einer witzigen Verwechslung auf einem Konzert näherkommen. Diese Geschichte ist gut geschrieben und ich habe sie gern gelesen, auch wenn mir das ganze Szenario zu perfekt ist: Die Sängerin verliebt sich sofort in die Protagonistin, hat mit ihr den allerbesten Sex und nimmt sie spontan mit auf ihre Tour; ihre beste Freundin, die eigentlich von Anfang an auf die Sängerin stand, ist kein bisschen eifersüchtig (wobei das auch mal ganz erfrischend zu lesen ist). Insgesamt ist es eher eine verklärte Wunschtraum-Fantasie wie Summer of Ninetysix.

Heftig on Board von Parker Heimlich klingt zu Beginn ganz amüsant: Ein bekannter Modedesigner trifft in seinem Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff ausgerechnet auf seinen größten Widersacher – einen Modejournalisten, der an seinen Kollektionen kein gutes Haar lässt. Ich hatte hier eine Enemies to Lovers-Geschichte erwartet, stattdessen flirtet der Protagonist recht unangenehm mit einem Bordkellner. Dem ist sein Job scheinbar von jetzt auf gleich völlig egal, denn er hat kein Problem damit, die Kamera des verhassten Journalisten über Bord zu schmeißen. Danach springt der Kellner gemeinsam mit dem Modedesigner ebenfalls von Bord. Letzterer kann übrigens nicht schwimmen, aber die Geschichte will mir weismachen, dass er es auf diese Weise lernt. Äh, bitte? Dann schwimmt das Paar zu einer kleinen Insel in der Nähe, wo sie sich zum ersten Mal küssen. Ja, und wie kommen sie da jetzt wieder weg? Ein unrealistisches Szenario, in dem keine Figur mehr als zwei Meter weit vorauszudenken scheint.

Brandung von Sabine Steinmeyer erzählt von einer spannenden Dreier-Beziehung, die sich in einem Urlaub ergibt. Gefällt mir gut! Nur einige Passagen sind so nüchtern erzählt, dass der Funke nicht richtig auf mich überspringen will. Interessant finde ich am Ende, dass das Geschlecht der Hauptfigur nie erwähnt wird, was für die Geschichte und ihre Queerness aber auch gar nicht relevant ist.

In Wellen der Freiheit von Calideya Fox geht es um einen jungen Adligen, dessen Eltern schon sein ganzes Leben für ihn geplant haben, der aber eigentlich lieber sein eigenes Ding machen will. Ich finde es witzig, wie er darüber sinniert, wie sehr er dieses versnobte Milieu hasst – nur um dann einen Surfer anzubrüllen, weil der unbefugt auf seinem Privatstrand unterwegs ist. Dass sich die beiden danach näherkommen, war abzusehen und ist ganz nett zu lesen, auch wenn die ganze Situation wenig innovativ ist. Nur ein Detail finde ich sehr spannend: Es wird komplett auf Heteronormativität verzichtet, die man in einem solchen Szenario vielleicht erwarten könnte – stattdessen wollen die Eltern des Protagonisten ihn mit einem anderen männlichen Adligen verkuppeln.

Die gleichnamige Protagonistin aus Xenia von Jan Moritz kommt für die Silberhochzeit ihrer Eltern zurück in ihre Heimatstadt, muss sich dort jedoch hauptsächlich abfällige Kommentare über ihr Lesbischsein anhören. Sie flieht an einen Badesee, wo ihr eine Gruppe junger Männer Gewalt und korrektive Vergewaltigung androht, doch es kommt Rettung auf ungewöhnliche Weise. Ich finde die Geschichte sehr gut geschrieben, dadurch ist allerdings auch die Droh-Szene sehr heftig. Es gibt aber ein tolles, empowerndes Ende: Die Protagonistin ermutigt ihre Retterin vom See dazu, ihre eigene sexuelle Identität zu erkunden, und obwohl es bei dieser kurzen Begegnung bleibt, hat sie doch einen großen Erinnerungswert. Das mag ich sehr.

In Summer in Paris von Lucinder erzählt die Protagonistin von einem lange zurückliegenden Urlaub in Paris: Damals verliebte sie sich in eine Straßenkünstlerin und die beiden verbrachten sehr glückliche Tage in der Stadt der Liebe. Das ist zwar alles ganz süß, für meinen Geschmack aber zu viel Kitsch und Klischee. Außerdem ist der Text voller Flüchtigkeitsfehler, und zumindest den Namen des berühmtesten Wahrzeichens von Paris sollte man schon richtig schreiben. Den Twist am Ende – wem die Protagonistin all das erzählt und wieso – finde ich aber sehr gelungen und richtig herzerwärmend.

Schoko- oder Erbeereis von Jule Kappes erzählt von zwei Freundinnen, in deren Gesprächen Eis zur Metapher für Liebesbeziehung wird. Die Protagonistin hadert sehr damit, dass sie sich nicht verliebt und kein Bedürfnis nach Küssen oder einem gemeinsamen Leben mit einer*m Partner*in hat. Ich finde ihre Erfahrung sehr authentisch geschrieben und konnte mich selbst darin wiederfinden. Generell finde ich es großartig, wenn aromantische Geschichten in queeren Projekten Platz finden! Leider auch hier wieder viele Flüchtigkeitsfehler, und ich bin aufgrund der Dialoge und des Stils zu Beginn davon ausgegangen, dass die beiden Freundinnen eher zwölf statt achtzehn Jahre alt sind.

In To the Top von Mona K. Bunse nimmt die Protagonistin an einem Boulder-Workshop teil und verliebt sich in ihre*n Trainer*in. Die Geschichte ist sehr wholesome und ich habe sie gern gelesen. Dazu gibt es auch einen kleinen Boulder-Exkurs – die Autorin scheint sich auszukennen. Nur leider bekommt der Text durch die eingeschobenen Erklärungen etwas Schulaufsatz-haftes.

Vibe, Flow, Love von Rebekka Görtler ist ebenfalls eine Trainerin/Teilnehmerin-Romanze, dieses Mal in einem Yoga-Kurs. Auch ganz süß, aber im direkten Vergleich zur vorherigen Geschichte wirkt diese hier leider oberflächlicher. Weder die Protagonistin noch die Yogalehrerin scheinen außerhalb ihrer Rollen eine Persönlichkeit zu haben.

Sommerregen, Regenbogen von Lilli Schön ist eine atmosphärische kleine Szene während eines Regengusses im Sommer, in dem zwei Frauen Unterschlupf unter einer Bushaltestelle suchen und dort ihre bisherige gemeinsame Zeit rekapitulieren. Ich mag es, wie gefühlvoll die Liebe und Zuneigung zwischen den Beiden beschrieben wird. Allerdings wirken die Dialoge, in denen sie sich gegenseitig von ihren gemeinsamen ersten Dates erzählen, wie nur für die Lesenden gedacht und damit ziemlich gestellt.

3/5 Sommerlichen Regenbögen

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