E-Book: Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden. von Raúl Aguayo-Krauthausen. Unter dem großen Titel ist ein Foto des Autors abgebildet: Ein Mann mit Bart, Brille, dunkler Mütze und hellem Hemd. Unten links das Logo von rowohlt Polaris.

Kurzmeinung: Gut strukturiertes, verständlich geschriebenes und sehr lehrreiches Sachbuch, das unterschiedliche Aspekte des Themas Inklusion beleuchtet.


Eigentlich halte ich mich sehr zurück mit generalisierten Empfehlungen wie „Dieses Buch sollte jede*r gelesen haben“, denn Interessen und Geschmäcker sind nun mal unterschiedlich. Aber dieses Buch lege ich wirklich allen ans Herz, gerade Menschen, die – wie ich – bisher noch nicht viele Berührungspunkte mit dem Thema Inklusion hatten.

Ich habe das Buch hauptsächlich deshalb in die Hand genommen, weil es als nächstes auf der Liste eines Buchclubs stand, den ich sehr schätze, und nicht unbedingt, weil mich das Thema so sehr interessierte. Zu Behinderung, Inklusion und Ableismus hatte ich nur das Halbwissen, das ich mal rechts und links im Internet bei Aktivist*innen aufgeschnappt hatte, aber ich hatte immer den Eindruck, das habe wenig mit mir zu tun. Persönliche Vorurteile abbauen ist das Eine, aber echte Inklusion war für mich immer etwas, das „von oben“ kommen muss (Rampen bauen, Schulsystem anpassen, …). Außerdem habe ich ja selbst selten mit behinderten Menschen zu tun, muss ich mich als nicht-behinderte Person dann überhaupt damit beschäftigen, wo ich auf die meisten Dinge doch sowieso keinen Einfluss habe?

Die größte Erkenntnis, die mir dieses Buch erst mal verschafft hat, ist die (eigentlich banale) Antwort auf die bisher ungestellte Frage, warum ich in meinem Leben so selten mit behinderten Menschen zu tun habe: Viele von ihnen werden in Sonderräume gedrängt, wie Förderschulen, Werkstätten und spezielle betreute Wohnformen oder Heime. Auf gut nachvollziehbare Weise wird im Buch dargelegt, dass es sich dabei nicht um Schutzräume für die Menschen darin handelt, sondern eher für die nicht-behinderten Menschen draußen, die sich auf diese Weise nicht mit ihnen auseinandersetzen müssen.

Was mich am meisten überrascht hat, ist die Tatsache, dass die Voraussetzungen für erfolgreiche Inklusion bereits vorhanden sind: Es gibt sie längst, die Studien, die Strategien und andere Länder, die vormachen, wie es funktionieren kann. Es fehlt uns hier in Deutschland lediglich am politischen und gesellschaftlichen Willen, diese Konzepte auch in die Realität umzusetzen. Das finde ich krass, weil ich bisher wirklich über einige Dinge gedacht habe: ‚Na ja, wenn das bisher nicht umgesetzt wurde, dann muss es ja daran liegen, dass es schwierig oder unmöglich ist.‘ Dieses Buch hat mir mit klaren Fakten und guten Argumenten das Gegenteil bewiesen.  

Dabei erklärt der Autor, selbst bekannter Inklusions-Aktivist, all das nicht allein. Er holt sich für die unterschiedlichen Themengebiete im Buch Menschen ins Boot, die darüber nicht nur aus persönlicher Erfahrung berichten, sondern auch Expert*innen auf ihrem Gebiet sind. Durch die Interviews mit ihnen kommt ein breites Spektrum an Expertisen zusammen, die sich u.a. um bauliche Barrierefreiheit, Schule und Arbeitsmarkt, selbstbestimmtes Leben oder die Rolle behinderter Menschen in den Künsten drehen. Im Text finden sich auch viele Fußnoten, die Möglichkeiten zum Weiterlesen bieten, wenn man sich in einen der Aspekte noch stärker vertiefen will.

Dabei ist das Buch sehr klar strukturiert: Jedes Kapitel behandelt ein spezifisches Thema, und am Ende eines jeden Kapitels werden noch einmal die wichtigsten Erkenntnisse daraus als Fazit festgehalten. Das finde ich sehr wertvoll und nützlich, um das Gelesene noch einmal zu rekapitulieren.

Was ich persönlich nicht gebraucht hätte, sind die ständigen Relativierungen, wenn es um Kritik an Strukturen geht. Wenn der Autor z.B. auf das Machtgefälle zwischen behinderten Menschen und Pflegepersonal in einer Einrichtung oder auf die Ausbeutung in den Werkstätten aufmerksam macht, wird er nicht müde, immer wieder zu betonen, dass ein Großteil des Pflegepersonals sicher einen guten Job macht oder dass es auch behinderte Menschen gibt, die gern in den Werkstätten arbeiten. Andererseits machen diese Einschübe das Buch zugänglicher für Menschen, für die der Unterschied zwischen struktureller und individueller Kritik nicht so offensichtlich ist.

Insgesamt ein sehr gelungenes Sachbuch, das ich vor allem Menschen empfehlen kann, die sich bisher nur wenig oder gar nicht mit Inklusion beschäftigt haben – denn das Thema geht uns alle an.

Ein Gedanke zu „Raúl Aguayo-Krauthausen: Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden.“

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