"Underground Barbie" von Maša Kolanović. Das Cover ist weiß, die obere Hälfte besteht aus der Schwarzweiß-Zeichnung eines Wohnblocks, in dem einige Fenster pink sind. Die pinken Quadrate gehen auch unter dem Wohnblock weiter und führen zu einem hochhackigen Barbie-Schuh. Ebenfalls unter dem Wohnblock stehen auf einer weißen Freifläche der Name der Autorin, der Titel des Buches sowie der Untertitel "Roman". Unten links das Logo des Prospero-Verlags.

Kurzmeinung: Ein beeindruckender Roman über eine Kindheit zwischen Barbie-Fantasiewelt und Luftschutzkeller.


Die Protagonistin wächst während des Kroatienkriegs zu Beginn der 1990er in einem Vorort von Zagreb auf. Das zentrale Element ihrer Kindheit und ihr wichtigster Besitz: ihre Barbiepuppen. Mit großer Hingebung erzählt sie von den Geschichten, die sie mit ihren Freund*innen in der Barbie-Welt nachspielt. Nicht selten geht es dabei um Intrigen, Untreue und manchmal sogar um Mord. Immer wieder wird das Spiel jedoch durch die Kriegsrealität unterbrochen und Kriegsrhetorik findet ihren Weg in die kleine Fantasiewelt.

Das ist es, was ich an diesem Buch so herausragend finde: der harte Kontrast zwischen Krieg und Kinderspiel, der erstaunlich schnell aufgeweicht wird. Denn es dauert nicht lange, bis der Krieg zu einem selbstverständlichen Teil des Alltags der Protagonistin wird. So ärgert sie sich z.B. darüber, dass es ausgerechnet dann einen Luftalarm gibt, als sie gerade mit ihrer Familie das lang ersehnte Staffelfinale von Twin Peaks schaut. (Die Serie wird übrigens kräftig gespoilert, also wer sie noch nicht gesehen hat: lieber vorher nachholen.) An anderer Stelle wiederum freut sie sich über den Luftalarm, weil sie so um die unliebsame Klavierstunde herumkommt.

Im Luftschutzkeller des Wohnblocks geht das Barbie-Spiel munter weiter. Die unterschiedlichen Barbies nehmen dabei nicht nur immer wieder verschiedene Rollen ein, sondern sind auch selbst Statussymbole. Seitenlang verbringt die Protagonistin mit Erklärungen dazu, wo die einzelnen Puppen herkommen, welche Accessoires zu ihnen gehören und ob es echte Produkte von Mattel oder nur billige Imitate sind. Was auf den ersten Blick langweilig klingt, hat mich beim Lesen aber trotzdem mitgerissen, weil ich die kindliche Konsum-Faszination so interessant finde. (Konsum ist übrigens auch ein großes Thema in Kolanovićs Kurzgeschichten-Sammlung Werte Käfer und andere Gruselgeschichten, auch sehr empfehlenswert!)

Vor dem Hintergrund des Krieges wirkt diese Fokussierung auf Marken-Produkte geradezu grotesk: Wer eine echte Mattel-Barbie und möglichst viel Zubehör besitzt, wird von den anderen Kindern in der Nachbarschaft bewundert und beneidet. Aber auch die wissen sich zu helfen: Wenn die Barbies keine Original-Kleider haben können, werden eben selbst welche genäht; ein Schuh wird zum glamourösen Barbie-Auto und eine umgedrehte Bananenkiste zur großen Barbie-Showbühne. So wird klargemacht, dass in Wirklichkeit Fantasie und Kreativität zählen, und nicht etwa der Besitz von besonders viel Marken-Zubehör. Und am Ende ist auch gar keine originale Hochglanz-Puppe der Star der ganzen Geschichte, sondern ein ramponierter Ken-Verschnitt vom Flohmarkt.

Was ich auch sehr gelungen finde, sind die kindlichen Zeichnungen, die auf interessante Weise in den Text eingebettet sind und die Geschichte wunderbar illustrieren.

Es ist sicherlich nützlich, sich vor dem Lesen mal mit den Jugoslawienkriegen und den politischen Entwicklungen im Kroatien der 1990er auseinandergesetzt zu haben, um den Kontext und die Anspielungen in der Erzählung besser zu verstehen. Da die Geschichte jedoch aus der Sicht eines Kindes erzählt wird, das die Zusammenhänge selbst noch nicht so gut versteht, ist detailliertes Hintergrundwissen nicht zwingend erforderlich. Am Ende des Buches findet sich außerdem ein Glossar, in dem viele der im Text genannten Persönlichkeiten/Institutionen/Marken erklärt werden.

Ich kann dieses Buch also sehr empfehlen! Was leider kaum jemandem etwas nutzen wird, weil es überall vergriffen und auch nicht als E-Book erhältlich ist. An mein Exemplar bin ich auch nur mit viel Glück gebraucht gekommen. Sehr schade.

5/5 Aerobic-Skipper-Barbies

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