"Forest" von A. Baron auf einem Kindle-E-Reader. Auf dem schwarz-weißen Cover ist ein Wald abgebildet, der aus vielen dünnen, dicht beieinander stehenden Bäumen besteht. In der Mitte steht in leicht verwischten Großbuchstaben der Titel "Forest". Ganz oben steht in der gleichen Schriftart "A. Baron" und darunter das Wort "Psychothriller".

Kurzmeinung: Spannender Horror-Thriller mit dem nervigsten Protagonisten aller Zeiten.


Ein Mann geht in einen gruseligen Wald und erlebt dort gruselige Dinge. Das ist ein Konzept, für das ich mich immer begeistern kann, und entsprechend gut unterhalten hat mich dieser Roman. Er ist spannend, der titelgebende Forest ist wunderbar unheimlich und ich habe oft mit angehaltenem Atem darauf gewartet, welche mysteriöse Sache hinter dem nächsten Baum lauert. Die einzelnen unheimlichen Orte innerhalb des Waldes sind sehr gut ausgearbeitet und haben mir kleine Schauer über den Rücken gejagt; teilweise habe ich mich gefühlt, als würde ich mich gemeinsam mit dem Protagonisten durch diese unwegsame Wildnis schlagen. In dieser Hinsicht also sehr gelungen!

Der zweite Entertainment-Faktor ist der Protagonist selbst, aber leider im negativen Sinne. Mit anderen Worten: Ich habe noch nie eine Hauptfigur erlebt, die ein so fürchterlicher Jammerlappen ist wie Kian McGreedy. Ständig suhlt er sich in seinem Selbstmitleid und führt endlose, sich wiederholende innere Monologe darüber, dass sein Leben den Bach runtergeht, dass er nie irgendwas auf die Reihe bekommt und dass sich kein Schwein für ihn interessiert. Generell nehmen Kians Gedanken überdurchschnittlich viel Platz in der Geschichte ein und er käut selbst offensichtliche Dinge ausführlich wieder. Ein wenig Kürzung hätte da gutgetan.

Dafür, dass Kian so viel nachdenkt, hat er erstaunlich wenige Erkenntnisse. So begibt er sich als unerfahrener Wanderer mit einer frisch diagnostizierten Herzschwäche in ein riesiges, unwegsames Naturschutzgebiet, um das sich unheimliche Legenden ranken – und schreibt die Tatsache, dass es ihm dort an einigen Stellen plötzlich körperlich schlecht geht, irgendwelchen übernatürlichen negativen Energien zu. Ich tippe eher darauf, dass es daran liegt, dass er sich als unerfahrener Wanderer mit einer frisch diagnostizierten Herzschwäche in ein riesiges, unwegsames Naturschutzgebiet begeben hat, um das sich unheimliche Legenden ranken. Aber was weiß ich schon.

Eine Sache, die ich mir im Horror-Genre gern genauer anschaue, ist der Umgang mit psychischen Erkrankungen. Und auch dieser Roman kommt leider nicht ohne entsprechende Stigmatisierung aus: Immer wieder wird Kians Angst davor erwähnt, im Forest auf irgendwelche „Irre“ zu treffen. Positiv möchte ich aber erwähnen, dass Kian sich in der Geschichte selbst bereitwillig in psychiatrische Behandlung begibt, um seine aus dem Forest ‚mitgebrachten‘ Symptome und seinen Alkoholismus behandeln zu lassen.

Was ich etwas gewöhnungsbedürftig finde, sind die vielen zeitlichen Sprünge, die manchmal mitten im Text stattfinden, ohne durch eine Leerzeile getrennt zu sein. Generell wird zeitlich viel gesprungen, sodass zwischendurch gut und gern mal mehrere Wochen vergangen sind. Davon bin ich kein Fan, weil es Distanz zur Hauptfigur aufbaut, die nur schwer zurückzuholen ist. Gerade wenn dieser Kniff am Ende angewendet wird, bekomme ich das Gefühl, den Protagonisten verloren zu haben.

Ein paar Worte zum Ende (Spoiler!):

Die Art und Weise, wie der Forest Kian verändert und seinem Leben letztendlich einen Stoß in eine positive Richtung gibt, mag ich sehr. Dennoch empfinde ich den Sprung von Kians unheimlichem und von Gewalt geprägtem Aufenthalt im Forest zu ‚Und dann ist er zurück und es ist auf einmal alles okay und auch seine Freundin ist plötzlich zu ihm zurückgekehrt‘ sehr abrupt. Vor allem im Angesicht der losen Enden, die mich ratlos zurücklassen. Natürlich muss nicht immer alles aufgeklärt werden, ein Restmysterium darf für mich ruhig bleiben. Aber wenn der Protagonist die ganze Zeit darüber rätselt, was bestimmte Phänomene zu bedeuten haben (z.B. das kleine Dorf), und das am Ende nicht aufgelöst wird, fühle ich mich als Leserin schon etwas hängen gelassen.

Auch habe ich teilweise das Gefühl, bestimmte Mysterien seien erst etabliert und dann einfach vergessen worden. Beispielsweise wird Kian zu Beginn an seinem Wohnort von einem unheimlichen alten Mann verfolgt. Dieser Mann taucht später noch einmal auf, allerdings wird nie geklärt, was es damit auf sich hat. Hat er überhaupt irgendetwas mit dem Forest zu tun? Hat Kian ihn sich nur eingebildet? Sollte er nur ein Grusel-Faktor um des Grusels willen sein?

Letztendlich liegen überall Chekhov’s Guns rum (an einer Stelle findet Kian sogar wortwörtlich ein Gewehr unter einem Bett in einer Waldhütte), aber kaum eins davon wird genutzt. Sehr schade.

Ein Mysterium ist besonders bei mir hängen geblieben: Zu Beginn der Geschichte telefoniert Kian kurz mit seinem Vater und es wird etabliert, dass die beiden kein gutes Verhältnis haben. Wenige Kapitel später wird erzählt, dass Kians Vater vor sieben Jahren gestorben ist. Das könnte darauf hindeuten, dass er sich das Telefonat mit seinem Vater nur eingebildet hat. Dadurch, dass er zu diesem Zeitpunkt allerdings noch bei recht klarem Verstand war, und dass weder dieser Widerspruch noch sein Vater später wieder erwähnt werden, gehe ich aber davon aus, dass das einfach beim Lektorat durchgerutscht ist.

Alles in allem ist dieser Thriller 50 % solider Grusel und 50 % literarischer Katastrophentourismus. Das ist ja auch mal eine unterhaltsame Kombination.

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