Kurzmeinung: Spannender, atmosphärischer Horror mit Figuren, die oft erfrischend rational handeln, manchmal aber etwas über-selbstreflektiert wirken.
Der Plot dieses Romans ist klassisches Horror-Material: Eine Gruppe von Menschen sitzt während eines Unwetters auf einer abgelegenen Insel fest – während dort gleichzeitig ein grausamer Killer sein Unwesen treibt.
Das klingt erst mal nicht sonderlich innovativ, allerdings wird dieses Konstrukt so gut mit Leben gefüllt und eine so lebendig angespannte Atmosphäre aufgebaut, dass ich das Buch schon nach kurzer Zeit nicht mehr aus der Hand legen konnte. Die Geschichte ist herrlich furchteinflößend und spannend und lief wie ein Kinofilm vor meinem inneren Auge ab. Dazu kommt, dass ich die Figuren mag (vor allem Madison, my beloved!) und sie sich für ein Horror-Setting oft erfrischend rational verhalten. Beispielsweise beschließen zwei von ihnen an einer Stelle, sich in einer unheimlichen Situation eben nicht aufzuteilen und damit in die Horror-Klischee-Falle zu tappen. Zwar gibt es auch eine Figur, die darauf besteht, allein in die Dunkelheit loszuziehen, aber da passt es auch sehr gut zum Charakter.
Das ist aber auch schon mein erster Kritikpunkt, denn die Figuren sind teilweise so enorm selbstreflektiert, dass es etwas konstruiert wirkt. Und ich rede hier nicht nur vom Horror-Anteil, es gibt nämlich zwischen den gestrandeten Menschen auch umfangreiche persönliche Vorgeschichten, die in dieser Zeit aufgearbeitet werden. Die extrem nuancierten Gedanken der Hauptfigur über die anderen Personen erscheinen mir im Angesicht akuter gruseliger Bedrohungssituationen manchmal recht aufgesetzt.
Generell hatte ich an einigen Stellen das Gefühl, dass die Autorin bestimmte Kritikpunkte schon vorauseilend entkräften möchte – und das kann ich persönlich nicht leiden. Wenn die Protagonistin beispielsweise im Angesicht einer grausamen Entdeckung nicht sofort wegrennt, sondern sich das Ganze instinktiv näher anschaut, gibt sie einen Kommentar dazu ab, dass sie sich gerade ziemlich klischeehaft verhält. Oder als sie in einem Dialog ein jahrelanges Missverständnis aus der Welt räumt, kommentiert sie dazu, dass das Ganze damals zu komplex gewesen sei, als dass es geholfen hätte, das Missverständnis durch ein Gespräch zu klären. (Was ein bisschen ironisch ist, denn genau das hat sie in diesem Moment ja getan.)
Was ich noch ein bisschen nervig fand: Die Erzählerin fasst immer wieder den aktuellen Stand der Dinge zusammen. Aber ich habe das Buch auch annähernd am Stück gelesen; wer es stückchenweise oder nicht so konzentriert liest, findet das vielleicht gerade hilfreich.
Ansonsten bin ich beeindruckt von den gruseligen Vorkommnissen auf der Insel – da sind ein paar richtig coole und kreativ blutige Elemente dabei! (Ich sage nur: ein originelles Windspiel.) Es gibt auch ein beeindruckendes Finale, das ich nur ein ganz kleines bisschen over the top fand, und eine Auflösung, die ich so nicht erwartet habe. (Die auch nicht so unglaublich viel Sinn ergibt, wenn man zu lange darüber nachdenkt. Vor allem eine Situation am Ende, die scheinbar nur einen Ausweg zulässt, ließe sich ziemlich leicht auch anders umgehen. Aber darüber kann ich hinwegsehen, wenn alles andere stimmt.)
Alles in allem ein fesselndes Buch!
Eine Inhaltswarnung noch:
Das Buch thematisiert Vergewaltigung und daraus resultierende Schwangerschaft.
Konkret geht es in einem Handlungsstrang darum, dass die Protagonistin – nun mitte dreißig – als Teenagerin auf einer Party vergewaltigt und geschwängert wurde. Der Täter von damals sitzt in der Geschichte mit auf der Insel fest. Im Laufe der Handlung erinnert die Protagonistin sich an die Tat zurück (bzw. genauer gesagt an das Davor und Danach, da sie während der Tat selbst bewusstlos war). Es geht in diesem Zusammenhang viel um Victim Blaming und darum, dass ihr nicht geglaubt wurde.