Kurzmeinung: Eine gelungene Auswahl unterschiedlichster Texte aus der queerfeministischen Phantastik.
Wie in den vorherigen Ausgaben enthält dieses Magazin Texte aus Fantasy und Science Fiction mit queerfeministischen Inhalten, wobei dieses Mal eindeutig die Science Fiction überwiegt – was mir entgegenkommt, denn dieses Genre ist mir von beiden das Liebere. Die ausgewählten Kurzgeschichten sind dabei in Setting, Stil und Thematik so unterschiedlich, dass auch diese zehnte Jubiläumsausgabe ein breites Spektrum abbildet:
No Filter von Melanie Vogeltanz spielt in einer nahen Zukunft, in der eine Kultur der toxischen Positivität herrscht: Belastende Ereignisse werden von Menschen ebenso ferngehalten wie Medien, die sich mit solchen beschäftigen. Selbst Trauer um nahe Angehörige wird nur für einen kurzen Zeitraum akzeptiert, wie die Protagonistin nach dem Tod ihrer Mutter feststellen muss. Trost findet sie bei Eris, die ein illegales Kino betreibt und dort regelmäßig verbotene Filme zeigt. Diese Kurzgeschichte finde ich unglaublich stark, denn sie realisiert innerhalb der fiktiven Welt die Forderung nach der Abschaffung von emotional belastendem Material und zeigt auf, wie wichtig es ist, auch negative Gefühle zuzulassen. Damit positioniert sich der Text indirekt gegen Zensurvorwürfe, die die progressive Phantastik immer wieder treffen. Im Verlauf wird außerdem deutlich, dass Inhaltswarnungen – die oft den gleichen Vorwürfen ausgesetzt sind – im Grunde das Gegenteil von Zensur sind, weil sie vielen Menschen erst den informierten Medienkonsum ermöglichen.
Brunnenlied von Eleanor Bardilac ist leider die Geschichte in dieser Ausgabe, zu der ich den geringsten Zugang gefunden habe. Die sprachliche Schönheit ist faszinierend und die Atmosphäre auf gekonnte Weise verdichtet, aber die inhaltlichen Zusammenhänge habe ich kaum verstanden. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich das zugrunde liegende Iwein-Material nicht kenne.
Der Seelenpartnertest von Simon Klemp hingegen zeichnet sich durch eine klare Sprache und Prämisse aus: Der Text spielt in einer Zukunft, in der Paare einen sogenannten Seelenpartnertest durchführen lassen können. Dieser ist jedoch nur auf heterosexuelle Paare zugeschnitten, daher wundert es den Protagonisten eigentlich nicht, dass der Test von ihm und seinem Mann negativ ausfällt. Doch in der Konsequenz hinterfragt er in nächster Zeit immer häufiger, ob sie überhaupt zueinander passen und steigert sich in seine Seelenpartnertest-Obsession immer weiter hinein. Ein spannendes Konzept mit gelungener Umsetzung.
Zwischentöne von Eva-Maria Obermann ist ein starkes kleines Gedicht, das in wenigen Worten vom Existieren in (queeren) Nuancen erzählt.
Unterschied von Jol Rosenberg dreht sich hauptsächlich um eine Gesprächsszene, die sich zwischen Vertreter*innen zweier Alien-Spezies abspielt, zwischen denen einst Krieg herrschte. Die Perspektivfigur ist ein Vertreter der Spezies Kophan, der davon überzeugt ist, dass seine Art allein aufgrund ihrer Veranlagung gefährlich ist und zu Gewalt neigt – diese Annahme erfährt jedoch während des Gesprächs einen interessanten Twist. Besonders gelungen fand ich hier die Darstellung der kulturellen Unterschiede der beiden Spezies, beispielsweise die unterschiedliche Konnotation von Blickkontakt.
Mein liebster Text in dieser Ausgabe ist aber Sarah von Clara Maj Dahlke. Es ist eine bittersüße, wunderschön erzählte Geschichte aus der Sicht einer Androidin, die eine Frau aus der Einöde rettet und sich um sie zu kümmern zu versucht. Die Androidin wird von ihr Sarah genannt, nach ihrer verstorbene Frau, und zwischen all der Einsamkeit und Trauer kommen die beiden sich näher. In diesem Text wohnt eine poetische Kraft, die in mir noch lange nachhallt.
Wie immer gibt es auch einen Essay, dieses Mal Auf Nimmerwiedersehen, Mittelerde von T. B. Persson, der sich vor allem mit rassistischen Stereotypen in Tolkiens Werk auseinandersetzt. Das habe ich zwar nicht gelesen (und habe es auch nicht vor), aber ich konnte dem Text auch so gut folgen, und die kritischen Analysen und Erkenntnisse sind auch gut auf andere Werke anwendbar.
Zum Schluss folgt noch Ein Queer*Welten-Werkstattbericht von den Herausgeber*innen Lena Richter, Judith Vogt und Heike Knopp-Sullivan, in dem es zum 10. Jubiläum des Magazins einige interessante Einblicke in die Arbeit der Redaktion gibt.
Und am Ende steht der Queertalsbericht mit Veranstaltungstipps und spannenden Buchempfehlungen. Zwischen den Geschichten sind dieses Mal außerdem handschriftliche Postkarten aus queer-phantastischen Welten abgedruckt, die auf eine Mini-Ausschreibung zu diesem Thema eingesandt worden sind. Es ist interessant zu sehen, wie vielfältig das umgesetzt wurde.
Fazit: Eine rundum gelungene Jubiläums-Ausgabe.
5/5 Raumschiffen