Kurzmeinung: Oftmals erstaunlich einfallslose Science Fiction-Geschichten, von denen mich keine wirklich begeistern konnte.
Die Exodus ist eines der bekanntesten Science Fiction-Magazine im deutschsprachigen Raum – also gefundenes Fressen für mich und meine neu aufgekeimte Begeisterung für SF-Kurzgeschichten. Meine erste Exodus war Ausgabe 47, aus der mir leider keine Geschichte so wirklich gefallen hat. Aber nachdem ich Kritiken von treuen Exodus-Leser*innen gelesen hatte, die ähnlich unbegeistert klangen, habe ich das für einen Ausrutscher gehalten und wollte dem Magazin noch eine zweite Chance geben.
Leider geht es mir mit Ausgabe 48 nicht besser: Keiner der Texte kann mich wirklich abholen. An einigen habe ich harte Kritik, andere sind maximal ganz nett. Insgesamt kann ich ihnen aber nicht viel abgewinnen. Viele zeugen von einer Einfallslosigkeit und einem konservativen Menschenbild, das mich in einem so zukunftsgewandten Genre wie Science Fiction immer wieder negativ überrascht. Da bleibe ich doch lieber bei den Queer*Welten.
Die Exodus lebt auch von ihren vielen farbigen Zeichnungen, von denen mich einige beeindrucken (z.B. die Illustration zur Geschichte Das weiße Zelt von Dirk Berger), die meisten mir aber kaum mehr als ein Schulterzucken entlocken. Besonders auffällig: Es sind mehrere Illustrationen von femininen Robotern mit Brüsten, extrem schlanker Taille und großem Hintern abgedruckt. Da frage ich mich wirklich, was das soll und ob den Künstlern (absichtlich nicht entgendert) im Jahr 2024 wirklich nichts Besseres einfällt.
Jede Exodus enthält in der Mitte eine Galerie, in der Werke SF-Künstler*innen abgedruckt werden. Es ist schon ironisch, dass es im Vorwort der letzten Ausgabe im Zusammenhang mit dem Thema KI noch hieß, in der Exodus kämen auch weiterhin nur Menschen aus Fleisch und Blut zum Einsatz – und nun die Galerie einem Künstler gewidmet wird, der mit KI arbeitet. Aber gut, einem SF-Magazin kann es wohl nicht übel genommen werden, wenn es in dieser Hinsicht eine Vorreiter-Rolle einnimmt. Ich denke, die Kritik an KI-„Kunst“ ist mittlerweile bekannt: Die KI wird an Bildern trainiert, deren Künstler*innen dafür ihr Einverständnis nicht gegeben haben und die dafür auch finanziell nicht kompensiert werden. Das macht die Verwendung von „Kunst“-generierenden KIs sowohl ethisch als auch urheberrechtlich höchst fragwürdig. Und mit dem Wissen ist es besonders pikant, dass gegen den Künstler dieser Galerie Plagiatsvorwürfe von einem anderen Künstler erhoben worden sind.
Alles in allem kein Magazin, dass ich weiter verfolgen werde. Schade.
Es folgen ein paar Kommentare zu den einzelnen Geschichten (ursprüngliche gepostet im Lesezirkel von sf-netzwerk.de):
Wichtig ist nur, was die Leute glauben von Christian Endres
Die Protagonistin bessert ihr Gehalt mit illegalen Krypto-Geschäften auf, gerät in einen blutigen Polizeieinsatz und am Ende auch an den Mann, der für ihn verantwortlich ist.
Ich mag die Action, das Tempo der Erzählung und das Worldbuildung (das angesichts unserer heutigen Situation gar nicht mal so unwahrscheinlich wirkt), aber mir fehlt bei der Protagonistin die Tiefe. Sie wirkt austauschbar und scheint nur dazu da zu sein, um ebendieses Worldbuildung und die Handlung zu tragen. Außerdem finde ich den Trope von einer Person mit Regierungsverantwortung, die einer ‚gegnerischen‘ Person anvertraut, dass das ganze System doch nicht so stabil ist wie sein Anschein, schon recht abgegriffen.
Was ich interessant finde, ist das Menschen- und Gesellschaftsbild, von dem hier ausgegangen wird: Die Regierung will den Anschein erwecken, dass die Klimakrise noch zu bewältigen sei, denn das Wissen darüber, dass das in Wirklichkeit gar nicht mehr möglich ist, würde in der Bevölkerung Panik auslösen. An der Stelle frage ich mich: Ist das wirklich so? Schon heute ist bekannt, dass der Klimawandel nicht mehr gestoppt, sondern seine Folgen nur noch abgemildert werden können. Und nicht einmal dafür scheinen sich sonderlich viele Menschen zu interessieren. Chaos und Anarchie wegen dieser Erkenntnis sind erst recht nirgendwo zu sehen. Insofern sehe ich in diesem Text auch einen kleinen Alternate History-Touch.
Eine Sache ist mir schleierhaft: Warum erschießen die Einsatzkräfte der Klimaschutzbehörde im Bunker sofort Leute, wenn das sowieso nur Show sein soll und es eigentlich darum geht, die Kryptomine möglichst öffentlichkeitswirksam hochzunehmen? Einfach drauflos ballern ist ja so ziemlich das Gegenteil von öffentlichkeitswirksam. Oder will die breite Bevölkerung im Namen des Klimaschutzes mittlerweile Blut sehen? Das erscheint mir vom heutigen Standpunkt aus sehr weit hergeholt, in dem Fall hätte ich mir eine tiefere Ausarbeitung des gesellschaftlichen Wandels gewünscht.
Der Zähler und der Monolith von Wolf Welling
Der Protagonist wird auf einen Planeten geschickt, wo er zum plötzlichen Verschwinden aller Menschen aus einer Kolonie nahe einem geheimnisvollen Monolithen ermitteln soll. Ich liebe Detektivgeschichten, und auch den Protagonisten mochte ich gleich: Er ist nicht nur Volkszähler, sondern hat auch die interessante Angewohnheit, alle möglichen anderen Dinge um sich herum zu zählen. Noch dazu kann er mit menschlicher Gesellschaft nicht viel anfangen.
Leider war ich schnell gelangweilt, weil ich einen gewaltigen Info-Dump über mich ergehen lassen muss. So bin ich schon vor seiner Landung auf diesem Planeten bestens darüber informiert, was es mit dem Monolithen und der Siedlung auf sich hat, und ich habe auch schon erfahren, was der Protagonist in der Vergangenheit in seinem Job schon für schlimme Dinge erlebt hat. Im Gegensatz dazu wird seine zweitägige Ermittlung in der Siedlung in einem Satz abgefrühstückt. Das hätte meiner Meinung nach eleganter gelöst werden können.
Zum Ende hin mag ich die leichten Horror-Einschläge, aber die Geschehnisse danach sind einfach furchtbar uninspiriert: Die KI, die ihn die ganze Zeit begleitet hat, steht ihm plötzlich im Körper einer – natürlich – hübschen und schlanken Frau gegenüber und hat auch noch ein eigenes Bewusstsein entwickelt. Der Protagonist tritt in den Monolithen hinein und findet dahinter eine paradiesgleiche Welt vor, in der er fröhlich auf den Wiesen frohlockt und gar nicht mehr das Bedürfnis hat, Dinge zu zählen.
Es stößt mir sauer auf, dass es als die ultimative Befreiung dargestellt wird, dass der Protagonist seinen ‚Zähl-Zwang‘ jetzt los ist. Zumal er weiter vorn im Text explizit klargestellt hat, dass ihm das Zählen Freude bereitet und er schon früher eine korrigierende Behandlung abgelehnt hat. Das vermittelt für mich die Botschaft, dass man Abweichungen von einer arbiträren gesellschaftlichen Norm in der eigenen Persönlichkeit unbedingt loswerden sollte – und wenn man das nicht will, eben zum eigenen ‚Glück‘ gezwungen werden muss.
Außerdem finde ich es schade, dass das Rätsel um den Monolithen nicht gelöst wird – mit Ausnahme der Erkenntnis, dass die Sekte vor Ort wohl Recht gehabt hat mit ihrer Vermutung, dass sich dahinter eine Art Paradies befindet. Hm, bisschen schwach. In gewisser Weise hat es mich an Der Garten aus der letzten Exodus erinnert, wo die Natur der fanatisch angebeteten Artefakte auch nicht geklärt wurde.
Geisterbahn von Roland Grohs
Die Prämisse finde ich sehr interessant: Dem todgeweihten Protagonisten wurde das Leben gerettet, indem sein Kopf auf den Körper eines anderen Menschen transplantiert wurde. Das bringt spannende Fragen und Konflikte mit sich, zumal dem Protagonisten im Krankenhaus angekündigt wird, er bekäme bald Besuch von seiner Frau – und der Frau des Menschen, dem sein Körper vom Hals abwärts gehört. Wer ist er jetzt eigentlich, wenn das Gehirn noch sein eigenes ist, aber der Großteil seines Körpers nicht? Wie wird sein Umfeld reagieren, was wird es von ihm erwarten?
Leider wird auf diese spannenden Aspekte nur sehr kurz und am Rande eingegangen. Hauptsächlich geht es darum, dass der Protagonist sich jetzt für ein Monster hält, woraufhin sein Arzt ihm eine Tour durch das Krankenhaus gibt, um ihm zu zeigen, dass andere Patient*innen noch viel schlimmer aussehen als er. Dabei dienen körperliche Deformierungen dieser Menschen ausschließlich als Schock-Effekt; sie werden regelrecht zur Schau gestellt und als „Monster“ und „etwas Unnatürliches“ bezeichnet. Bei einer Patientin sind der Protagonist und sein Arzt sich einig, dass man sie gnädigerweise töten sollte (obwohl sie sich in einer virtuellen Welt aufhält, in der sie sich wohlfühlt) – und begründet das ironischerweise ausgerechnet mit der Menschenwürde.
Ich finde es erschreckend, wie hier so unhinterfragt über den Wert von Menschenleben geurteilt wird und wie menschenverachtend und herabwürdigend der Blick auf Körper ausfällt. Schade, in der Grundidee steckte einiges an Potential.
Das weiße Zelt von Michael Schneiberg
Das ist meine liebste Geschichte in dieser Ausgabe, obwohl ich sie beinahe übersprungen hätte, weil der Einstieg mich so sehr gelangweilt hat. Rückblickend macht es Sinn, dass zunächst die bürgerliche Idylle thematisiert wird, aus der der Protagonist entstammt, um das in den krassen Kontrast zu den Ereignissen zu setzen, die später noch kommen – aber das kann ich als Leserin am Anfang natürlich noch nicht wissen. Ohne die vorweggegriffene Andeutung auf den Virustod der Schwester hätte ich vermutlich nicht weitergelesen. Der Autor hat hier in meinen Augen einfach viel zu weit ausgeholt. Einen Text damit zu beginnen, die Lebensgeschichte der Eltern herunterzurattern, wirkt auf mich denkbar ungeschickt und im Angesicht der Tatsache, dass der Rest der Geschichte sehr gut geschrieben ist, auch seltsam unpassend.
Interessant wird es für mich erst, als die Schwester des Protagonisten, Leonie, sich nur noch mit anderen Leonies anfreunden will. Dieses Motiv mag ich; es zieht sich auch durch den gesamten Text. Und dann geht es richtig los: Ein Virus verbreitet sich und macht auch vor der Familie des Protagonisten nicht Halt. Mir gefällt die bedrückte und apokalyptische Stimmung, die hier dargestellt wird. Sie ruft Erinnerungen an 2020 wach, erschafft aber gleichzeitig ein anderes Szenario. Wenn die Covid-19-Pandemie ein Gutes hatte, dann dass SF-Autor*innen jetzt bessere und realistischere Virusgeschichten schreiben können. Besonders die Darstellung des Alltäglichen im Angesicht der Vernichtung hat mich beeindruckt: Die Familie, jetzt nicht mehr vollzählig, sitzt auf der Terrasse und isst Kuchen, aber nichts ist mehr wie vorher.
Besonders spannend ist ein Symptom des Virus: Die Infizierten werden von seltsamen Halluzinationen verfolgt, die ihnen etwas in einer fremden Sprache einzuflüstern scheinen. Die Art und Weise, wie das zum Ende hin den Protagonisten verfolgt, finde ich – auch sprachlich – sehr gelungen dargestellt. Was für ein bittersüßes Ende.
Die Illustration zu diesem Text sticht für mich auch hervor; sie ist sehr atmosphärisch, wie der Junge da im Abendlicht vor dem Quarantäne-Zelt sitzt.
Besuch für die Astronautin von Yvonne Tunnat
Mit dieser Geschichte habe ich mich leider wieder schwergetan: Kaum hatte ich begriffen, worum es darin eigentlich geht, war sie auch schon wieder zu Ende. Erst nach und nach kann ich mir zusammenreimen, dass die Geschichte in einem Altersheim in der Zukunft spielt, und dass die Kollegin der Hauptfigur, die anfangs im Dialog noch bedeutsam erscheint, eigentlich gar nicht wichtig ist. Vielmehr geht es um eine Bewohnerin, „die Astronautin“ genannt, die unerwarteten Besuch von einer jungen Frau bekommt. Ich mag es, wie die Hauptfigur aus diesem Anlass über die körperliche Nähe zu ihrer eigenen Mutter reflektiert, mir blieb es allerdings ein Rätsel, wer diese junge Besucherin eigentlich ist, die die Astronautin plötzlich mit nach Hause nehmen will. Erst, nachdem ich die zweite Hälfte der Geschichte noch einmal gelesen habe, hat es bei mir Klick gemacht.
In einer längeren Geschichte könnte ich mir vorstellen, dass dieser Twist ein starkes Ende ist. In der dieser Kürze verliert er leider jede Wirkung. Im einen Absatz wird erklärt, dass die Mutter der Astronautin im All verschollen ist, als sie 15 war, im nächsten ist das Problem auch schon gelöst und sie steht wieder vor ihr. Da fehlt mir der emotionale Impact.
Worüber ich mich aber gefreut habe, war das kleine Easter Egg des Bennie – ein artifizielles Kind, das ich schon in Tunnats Geschichte Eis auf Raten (aus der Queer*Welten 12) sehr interessant fand.
Ein Stückchen Erinnerung von Uwe Hermann
Diese Geschichte konnte mich auch wieder nicht überzeugen, obwohl die Prämisse ganz spannend ist: Ein Astronaut findet sich in seinem Raumanzug allein im All wieder und versucht, gedanklich zu rekonstruieren, wer er ist und was passiert ist.
Dennoch erscheint mir die Geschichte so „glatt“, dass ich sie nach der nächsten schon wieder vergessen habe. Ich kann nicht mal genau in Worte fassen, warum – ich glaube, es hat etwas mit dem Schreibstil zu tun, der keine wirkliche Spannung überträgt. Die Gedanken des Protagonisten wirken gestellt und sehr durchkonstruiert, vor allem in Bezug auf seine Familie. Es scheint dem Text und dem Protagonisten wichtiger zu sein, dass er eine hat, um eine Motivation zum Weiterkämpfen zu haben, als darüber nachzudenken, wer seine Frau und seine Kinder eigentlich sind und was sie ihm bedeuten. Besonders auffällig: Er erinnert sich nicht direkt an seine Familie, ihm kommt nur ein Bild einer Frau und zweier schaukelnder Kinder im Garten in den Sinn, und daraus schließt er, dass das wohl seine Familie ist. Das wirkt alles recht platt.
Außerdem bin ich ganz am Anfang über einen Denkfehler gestolpert: Der Protagonist erwacht also ohne Erinnerungen in völliger Dunkelheit. Woher weiß er dann, dass eine durchsichtige Hülle seinen Kopf umschließt? Das kann er doch gar nicht sehen.
Der Twist am Ende macht das Szenario etwas interessanter, aber auch da frage ich mich, was das Ganze eigentlich soll. Weder zu den Figuren noch zu ihrer Mission habe ich eine tiefere Bindung, ebenso wenig wie zum Protagonisten. Die Tatsache, dass er nach seinem Tod in einer Art Endlosschleife des Sterbens gefangen ist, lässt mich deshalb auch ziemlich kalt.
Slide Machine von Maria Orlovskaya
Diese Geschichte dreht sich um eine Reise in ein Paralleluniversum. Sie beginnt recht kryptisch, erst nach und nach setzen sich die Umstände der Figuren zusammen und füllen die Leerstellen, die anfangs (vermutlich bewusst) gesetzt wurden. Es ist einer dieser Texte, die man wahrscheinlich ein zweites oder drittes Mal lesen muss, um sie vollständig zu verstehen. Eigentlich mache ich das auch ganz gern, aber hier finde ich die Figuren und ihre Beziehungen einfach nicht interessant genug. Außerdem ist bei dieser Ausgabe bei mir an dieser Stelle schon ziemlich die Luft raus.
Da bleibe ich lieber erst mal mit meinen ungelösten Fragen zurück, die sich nach dem ersten Lesen ergeben haben. Zum Beispiel, woher Jesse überhaupt weiß, dass sie in der Parallelwelt mit Alec zusammen ist. Oder, wenn es mehrere Parallelwelten gibt, wie sie diejenige gefunden hat, in der das der Fall ist.
Was mir aber gut gefallen hat, ist der Moment, in dem Jesse eine zentrale Erkenntnis über ihr neues Parallelwelt-Leben hat:
Dass sie gar keinen glamourösen Job in der Filmbranche hat, sondern Hausfrau ist und den ganzen Tag damit verbringt, das Haus ihres Angebeteten in Ordnung zu halten. Dass dieses vermeintlich perfekte Leben, in dem sie nun endlich mit Alec zusammen ist (der jetzt auch ganz anders ist als erwartet), ihr sonst nichts zu bieten hat. Dass diese kopflose Jagd nach dem vermeintlich perfekten Mann sie am Ende nur unglücklich macht.
Am Ende steht die Version von Alec aus ihrer ursprünglichen Welt vor ihrer Tür (so lese ich das zumindest), und die Beiden sind dann doch vereint? Das wäre ein extrem kitschiger Twist. Bis dahin hatte ich nämlich rausgelesen, dass Original-Jesse ‚nur‘ Alecs Fan ist und Original-Alec nicht wirklich etwas von ihr will.
Vielleicht habe ich das auch falsch verstanden und ein nochmaliges Lesen würde das klären, aber darauf habe ich, wie gesagt, keine Lust. Deshalb möchte ich mir zu dieser Geschichte auch kein abschließendes Urteil erlauben. Vielleicht irgendwann später mal.
37er und 42er von Olaf Lahayne
Die bisher langweiligste Geschichte hier. Der erste Teil besteht im Grunde nur aus der Beschreibung von Räumen und Maschinen und daraus, dass zwei Figuren sich Worldbuilding-Infodump und Fachsimpelei um die Ohren hauen (natürlich so aufbereitet, dass die Lesenden perfekt abgeholt werden), im zweiten Teil verkommt eine Figur zu einem comichaften Bösewicht. Da hilft es auch nicht, dass sie die Klischeehaftigkeit der Situation selbst erkennt und ironisch kommentiert.
Die Grundidee von Menschen, die in Anpassung an den Klimawandel künstlich genetisch verändert werden, sodass sie eine höhere Körpertemperatur haben, finde ich schon interessant. Ebenso die potentiellen Konflikte mit Menschen, die diese Genmanipulation nicht durchlaufen haben und damit andere physische Anforderungen an ihre Umwelt haben. Die Umsetzung ist leider schwach.
Außerdem ist mir ein stilistischer Schnitzer aufgefallen, den ich eigentlich nur bei Schreibanfänger*innen sehe, die unbedingt Namen und Personalpronomen vermeiden wollen: Die Protagonistin Lilith wird mitten im Text immer mal wieder als „die Frau“ oder „die Kontrolleurin“ bezeichnet. Das ist hier sehr bezeichnend für ihre Austauschbarkeit als Figur. Sie ist lediglich ein Vehikel zum Transport von Worldbuilding und Handlung.
Wann treffen wir wieder zusamm‘? von Scipio Rodenbücher
Die Geschichte spielt in einer Welt, in der Menschen KIs im Kopf tragen, die die Wirklichkeit um sie herum verformen können. Ich mag das Surreale an diesem Text, die Art und Weise, wie sich die Welt um den Protagonisten herum immer wieder wandelt und nur manchmal die tatsächliche Realität hindurchschimmert – oder ist auch die eine Illusion? Das Ganze ist auch sprachlich sehr gut umgesetzt; die Ebenen verschwimmen, sogar die Grenzen zwischen Protagonist und KI.
Stellenweise finde ich es zu viel des Guten, weil so viele Ereignisse und Ebenen aufeinanderprallen, dass ich gar nicht mehr weiß, was da überhaupt gerade passiert. Vielleicht muss ich diesen Text auch noch einmal lesen.
Eine Sache, die mir aber konkret rätselhaft bleibt: Ein Mensch, den der Protagonist kaum kennt, sagt ihm in einem Meeting, dass seine Freundin Elsa bei einem Verkehrsunfall gestorben ist – und der Protagonist nimmt das hin und akzeptiert es sofort. Keine Nachforschungen, keine Nachfragen, er fängt einfach sofort an, sie zu vermissen. Was macht ihn da so leichtgläubig?
Grün von Christian Hornstein
Eine Gruppe von Klimaaktivist*innen will eine Droge in die Lüftungsschächte der U-Bahn leiten, die sich auf das Gehirn der Menschen auswirkt und sie empathischer macht. Dadurch erhoffen sie sich eine Wende in der Klimapolitik. Die Idee finde ich ganz interessant, und die Anknüpfung an unsere heutige Welt ist auch deutlich zu sehen.
Warum sie an einer Stelle plötzlich anfangen, sich über das Vorhaben zu streiten, wird mir nicht ganz klar; der Konflikt erscheint mir recht künstlich um des Konflikts Willen eingefügt. Überhaupt besteht die Geschichte zu einem Großteil aus Dialogen, die sich ziemlich in die Länge ziehen und teils nur für Info-Dump dienen. Ganz besonders ist mir das an der Stelle aufgefallen, als Sergej emotional wird und aufzuzählen beginnt, welche konkreten globalen humanitären Katastrophen ihn gerade traurig machen.
Damit geht auch einher, dass mir hier die persönliche, zwischenmenschliche Ebene fehlt. Alles dreht sich nur um eine globale, aktivistische Dimension, aber die Figuren selbst bleiben recht blass. Ihre Stimmen unterscheiden sich im Dialog kaum voneinander; alle sind schlagfertig und schießen ihre Sätze raus wie zackige Ping-Pong-Bälle. Nach einer Weile hat mich das gelangweilt, weil es so bemüht wirkt. Auch die im Erzähltext eingestreuten Anglizismen sollen wohl cool und modern wirken (da wird eine Limo aus dem Schrank „gecatched“, jemand „displayt“ sein Hinterteil, an der Badezimmertür hängt ein „smilendes“ Seepferdchen), ich finde das eher cringe.
Die Aktivist*innen setzen sich im Laufe der Geschichte testweise selbst der Empathie-Droge aus, sind dadurch aber scheinbar so empathisch geworden, dass sie ihr ursprüngliches Vorhaben nicht mehr durchsetzen wollen. Das klingt erst mal witzig, macht mir bei längerem Nachdenken einen Knoten in den Kopf, denn sollte es sie nicht gerade dann dazu antreiben, ihren Plan umzusetzen? Na ja, wie auch immer. Das offene Ende gefällt mir zumindest.
Die drei Stigmata des lila Panda von Uwe Post
Ein Plüsch-Panda mit eigenem Bewusstsein fühlt sich nicht mehr gebraucht, nachdem seine fünfzehnjährige Besitzerin Jana jetzt einen Freund hat, und verlässt sein langjähriges Zuhause. Die Idee ist nicht neu, bekommt durch den SciFi-Hintergrund aber einen netten neuen Anstrich – denn Lao ist kein gewöhnlicher Plüsch-Panda, sondern ein RealChatPanda™ Standard-Edition, der Jana bei der Bewältigung ihrer psychischen Probleme helfen sollte.
Ein bisschen unglücklich finde ich die Implikation, dass eine romantische Beziehung ein Allheilmittel für psychische Krankheiten ist, denn nichts anderes als die Tatsache, dass Jana jetzt einen Freund hat, nutzt Lao für die Diagnose, dass sie jetzt „geheilt“ ist. Hm.
Witzig fand ich hingegen die Stelle, an der Lao mit dem Avatar im Automaten für homöopathische Psychopharmaka spricht. „Das ist ein Megaseller, und bisher hat sich noch kein Kunde über irgendwelche Nebenwirkungen beschwert“ – da musste ich kurz lachen, ein guter Satire-Moment.
Noah, der Hammer und der Gott in der Maschine von Marie Meier
Die Geschichte finde ich zum Abschluss ganz nett: Ein depressiver Roboter namens Noah befindet sich auf einer Arche, die auf dem Weg zu einem bewohnbaren Planeten ist, um die Menschheit zu retten. Dabei ist er immer dem Befehl des einzigen jeweils an Bord existierenden Menschen unterstellt. In der Geschichte ist es Hubert, den Noah nicht leiden kann.
Ich mag die zynische und tragikomische Erzählweise aus Noahs Perspektive, seine menschenähnlichen Emotionen und die Art, wie er mit dem Schiff selbst kommuniziert. Auch die Wendung am Ende finde ich ganz gelungen.
Nur erklärt sich für mich nicht, warum der einzige Mensch an Bord immer ein Mann sein muss und warum die ‚versehentlich‘ erzeugte Frau vom System nicht angenommen wurde. Dieser offenkundige Sexismus-Kommentar ist mir in der Geschichte einfach zu platt.
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