Kurzmeinung: Interessant und informativ, in puncto Verständlichkeit und Struktur ist aber noch Luft nach oben.
Ich hatte mich schon länger gefragt, wie genau eigentlich die Querdenken-Bewegung zu Zeiten der Corona-Schutzmaßnahmen entstanden ist, wie sie so groß werden konnte und warum sich so viele Menschen aus den unterschiedlichsten Ecken einer Bewegung angeschlossen haben, die sich so staatsverachtend und offen für rechtes Gedankengut gezeigt hat. Deshalb war dieses Buch für mich ein gefundenes Fressen: Es analysiert neben der Querdenken-Bewegung auch andere ‚alternative‘ Weltanschauungen, von Anthroposophie über Impfgegnertum bis zur Tierrechtsbewegung, unter dem Aspekt der rechtsextremen Tendenzen und der Anfälligkeit für menschenverachtende Ansichten. Vor allem den ersten Part, in dem die Querdenken-Bewegung auseinandergenommen wird, fand ich unglaublich spannend: Er zeigt auf, dass ihre Zusammensetzung aus auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Akteur*innen (die ‚Mitte der Gesellschaft‘, Verschwörungstheoretiker*innen, Esoterik-Anhänger*innen, Reichsbürger*innen etc.) kein Zufall ist und dass diese Bewegung kein einzigartiges Phänomen der Corona-Krise war. Vielmehr wirkte diese Krise als Katalysator für Tendenzen, die schon lange vorher existiert haben.
Das Buch stellt sehr interessant und anschaulich Zusammenhänge dar zwischen Bewegungen, die von einem Großteil der Gesellschaft als ‚links-grün-alternativ‘ wahrgenommen werden, und ihren gar nicht mal so linken Ausprägungen: Von der naturverbundenen Bio-Bauern-Familie nebenan, die in Wirklichkeit völkische Siedler*innen sind, bis zu Tierrechtsorganisationen, die mit Holocaust-Vergleichen aufwarten.
Was mich ein bisschen gestört hat, ist der fehlende rote Faden. Das Buch ist in mehrere Kapitel eingeteilt, die jeweils ein eigenes alternatives Milieu behandeln; ein wirklicher Gesamtzusammenhang wird aber nicht hergestellt. Teilweise werden in den Kapiteln Informationen aus vorherigen Kapiteln so ausführlich noch einmal erläutert, dass man meinen könnte, sie seien völlig unabhängig voneinander geschrieben worden. Außerdem verzichtet das Buch auf ein Fazit. Das fand ich schade, denn ein paar abschließende Worte zum Zusammenhang zwischen den einzelnen Milieus wäre angebracht gewesen und hätte die Verschränkungen (die zu Beginn im Querdenken-Kapitel so gut dargestellt wurden) noch einmal verdeutlicht.
Aber auch den Aufbau innerhalb der Kapitel finde ich nicht ideal: Oft wird wild zwischen den Berichten über Aktionen, Einzelpersonen und Studien hin und her gesprungen. Dazu werden Zitate von großen Philosophen wie Adorno, Horkheimer und Marx eingestreut, die inhaltlich nur vage passen, die Verständlichkeit erschweren und allgemein eher den Eindruck erwecken, der Autor würde sein Werk damit intellektuell aufwerten wollen. Außerdem haben auffällig viele Grammatikfehler meinen Lesefluss behindert – gerade lange Sätze musste ich mehrmals lesen, um zu begreifen, dass ich da gerade keinen Knoten im Gehirn habe, sondern der Autor einfach den falschen Kasus verwendet hat.
Insgesamt habe ich aus diesem Buch viel gelernt und interessante Zusammenhänge nachvollziehen können – in puncto Struktur und Verständlichkeit wäre aber noch Luft nach oben gewesen.
4/5 querdenkerische Mobs