Dünner Ort von Alke Stachler mit einem minimalistischen Papp-Cover: Es ist lediglich unten rechts mit Titel und Name der Autorin beschriftet.

Kurzmeinung: Wundervolle Kurztexte, die mit wenigen ausgeklügelten Worten das Ungreifbare greifbar machen.


Was Lyrik angeht, bin ich sehr wählerisch. Viele lyrischen Texte sind mir zu simpel und plakativ, andere wiederum so komplex und übertrieben abstrakt, dass ich keinen Zugang dazu finde. Dünner Ort ist dagegen genau das, was ich lesen möchte.

Das kleine Büchlein besteht aus kurzen Texten, die jeweils in nur wenigen Worten eine starke Atmosphäre erzeugen und etwas in mir berühren. Mit viel Gespür für surreale Zwischentöne bewegen sie sich an ihren titelgebenden dünnen Orten entlang: einem hungrigen Wald, dem dunkelsten Teil der Tiefsee oder den Umgebungen, in denen man die Präsenz der Toten noch fühlt. Dabei macht es Spaß, die immer wieder auftauchenden Motive zu erkennen und sie wie Mosaike zu etwas zusammenzusetzen, das vorher schwer greifbar erschien.

„Als „dünne Orte“ haben angeblich die Kelten Orte bezeichnet, an denen der Schleier zwischen unserer Welt und der Welt der Toten, der Geister besonders dünn ist, an denen Verbindungen und Vermischungen möglich werden“, schreibt die Autorin im Anhang. Genau diese Verbindungen und Vermischungen, die kurzen Berührungen mit dem Unbekannten und nur manchmal Bedrohlichen, aber oft auch Beruhigenden finden sich in den Texten wieder.

Ich kann nicht benennen, was genau mich an den Texten so sehr fasziniert. Vielleicht ist es der surreale Einschlag, den ich immer sehr schätze; vielleicht auch das Loslösen von alltäglichen Vorstellungen und Konzepten und der völlige Verzicht auf Klischees und Phrasen. Oder auch das Einfangen von sehr spezifischen Emotionen, wie ein Flirren am Rand der eigenen Existenz, das ich nachfühlen, aber bisher nie selbst in Worte fassen konnte.

Zur dichten Atmosphäre tragen auch die fotografischen Illustrationen von Sarah Oswald bei, auf denen ich einzelne Elemente zu erkennen glaube, die sich am Ende aber doch ins Surreale verzerren.

Den bereits erwähnten Anhang bildet ein Auszug aus dem digitalen Briefwechsel zwischen Autorin und Lektor. Diesen Blick hinter die Kulissen finde ich gerade bei Lyrik besonders spannend, und speziell hier eröffnet er mir noch einmal einen klareren Blick auf die Texte, aber auch auf das Schaffen von Literatur im Allgemeinen.

Ich glaube, ich habe eine neue Lieblings-Poetin gefunden!

5/5 21 gramm schweren menschlichen seelen