Kurzmeinung: Ein Buch über einen leidenden aromantischen Mann, das mich als aromantische Person sehr niedergeschlagen zurücklässt.
Inhaltshinweis: Im Buch sowie in dieser Rezension werden Aro-Feindlichkeit, Alkoholismus und Suizid thematisiert.
Hier geht es um aromantische Menschen – also Menschen, die sich nicht verlieben. Eine umfangreichere Erklärung zum Thema Aromantik gibt es u.a. beim Queer Lexikon.
Ich habe eine Weile überlegt, ob ich diese Rezension wirklich veröffentlichen möchte. Denn Geschichten über aromantische Menschen sind (zumindest auf dem deutschsprachigen Markt) so rar, dass ich sie eigentlich nicht verreißen will. Und ich wertschätze es sehr, dass Autor*innen darüber schreiben und dass Verlage diesen Texten dann auch eine Chance geben. Ich habe mich jedenfalls sehr gefreut, auf der Berliner Buchmesse dieses Büchlein entdeckt zu haben, das schon durch den Titel, die Farbgebung und die Pride-Flagge auf der Rückseite explizit als aromantische Geschichte erkennbar war. Und das Cover sieht auch richtig toll aus!
Geschichten über aromantische Figuren führen eigentlich immer dazu, dass ich mich erleichtert und gesehen fühle, auch wenn die konkreten Lebensrealitäten und Erfahrungen der Figuren nicht unbedingt mit meinen eigenen übereinstimmen. Das hier war die erste Geschichte darüber, bei der ich mich nach dem Lesen schlecht gefühlt habe.
Lassen wir mal den Fakt beiseite, dass der Schreibstil fürchterlich kitschig ist und sich die Figuren, die Mitte dreißig sein sollen, verhalten wie weinerliche Teenager – darüber könnte ich noch hinwegsehen. Was mich richtig fertig macht, ist der Plot, der sich folgendermaßen zusammenfassen lässt: Mann leidet unter seiner Unfähigkeit, romantische Liebe zu empfinden, geht nach Hause und bringt sich um.
In meiner Bubble wird viel über queere Repräsentation geredet und darüber, dass sie nicht perfekt sein muss und auch mal messy sein kann. Und da bin ich absolut dafür! Ich liebe Thriller, Horror und fucked up shit (mehr, als ich öffentlich zugebe) – aber das hier fühlt sich einfach nur an wie ein Schlag ins Gesicht.
Ich kann von mir sagen, dass ich in meiner aromantischen Identität sehr gefestigt und zufrieden mit mir selbst bin, und dass mir gesellschaftliche Konventionen und Erwartungen mittlerweile egal sind. Aber ich will mir gar nicht vorstellen, wie ich mich gefühlt hätte, wenn ich dieses Buch als Teenager oder mit Anfang zwanzig gelesen hätte. Wie es jungen Menschen geht, die noch sehr mit ihrer eigenen Aromantik hadern und die dieses Buch (das übrigens Teil einer Reihe rund um queere Vielfalt ist) in die Hand nehmen, mit der Vorfreude darauf, sich selbst darin wiederzufinden. Und dann ist da nichts als Selbsthass, Qual und Tod.
Dabei finde ich Figuren wie den Protagonisten Romeo super wichtig! Er ist 36 Jahre alt und damit deutlich aus dem College-Alter raus, in dem Selbstfindungs- und Identitätsfragen üblicherweise ihren Raum in Geschichten bekommen. Wie geht man damit um, wenn man bereits so viel Lebenserfahrung hat, nur diese eine, die gesellschaftlich als so elementar betrachtet wird, fehlt? Wie sieht es aus mit der spezifischen Verschränkung von Aromantik und Männlichkeit? Aber das alles spielt hier keine Rolle. Ich will an eine Geschichte, die nicht mal 25 Seiten lang ist, auch gar keine überhöhten Ansprüche stellen. Schade finde ich es trotzdem.
Nur eine Stelle finde ich sehr gelungen: In einem alkoholinduzierten Traum begegnet Romeo seinem Doppelgänger, der ihm eine Pille anbietet. Diese Pille soll ihm die Fähigkeit geben, sich zu verlieben. Nach einigem Nachdenken lehnt er jedoch ab, denn letztendlich ist Aromantik ein Teil seiner Persönlichkeit, der einfach zu ihm gehört und ihn zu dem Menschen gemacht hat, der er heute ist. Das war eine sehr schöne Erkenntnis! Nur leider beschimpft sein Doppelgänger ihn daraufhin aufs Übelste – und bestraft ihn mit dem Tod. Uff, sage ich da nur.
Das alles würde mir weniger wehtun, wenn es genügend andere aromantische Repräsentation geben würde und dieses Buch nur eins unter vielen wäre. Das ist allerdings nicht der Fall. So bleibt mir am Ende nur der zynische Gedanke, dass der Bury Your Gays-Trope jetzt auch endlich mal auf eine aromantische Figur angewandt wurde. Diversity Win!
Immerhin: Mehrere Rezensierende, die nach eigenen Aussagen selbst nicht aromantisch sind, freuen sich über den lehrreichen Einblick in eine andere Lebensrealität. Vielleicht kriegt man so einen Lerneffekt in Zukunft auch ohne trauma porn hin.