"So B. It. Eine Geschichte vom Glück" von Sarah Weeks. Auf dem Cover ist der Schatten eines auf einem Bein balancierenden Mädchens abgebildet, der auf einen steinigen Untergrund fällt.

Kurzmeinung: Ein wundervoll geschriebenes Lieblingsbuch aus meiner Kindheit, das mich immer wieder berührt.


Die zwölfjährige Heidi hat nur zwei Bezugspersonen in ihrem Leben: Ihre geistig behinderte Mutter, die sich selbst „So B. It“ nennt und ihren Alltag nicht allein bewältigen kann. Und ihre Nachbarin Bernadette, die sich liebevoll um die beiden kümmert und Heidi aufzieht wie ein eigenes Kind, aber aufgrund einer schweren Angststörung das Haus nicht verlassen kann. Eines Tages stößt Heidi auf einige alte Fotos, auf denen neben ihrer Mutter eine Frau zu sehen ist, die vielleicht ihre Großmutter sein könnte. Getrieben von den Fragen nach ihrer Herkunft und Familie, die weder ihre Mutter noch Bernadette beantworten können, verfolgt Heidi die Spur der Fotos und begibt sich allein auf einen Bus-Roadtrip quer durch die Vereinigten Staaten.

Als Kind habe ich das Buch geliebt und unzählige Male gelesen, aber schon damals habe ich mich gewundert, woher eigentlich diese Begeisterung kommt. Immerhin habe ich zu dem Zeitpunkt (ich glaube, ich war 10) eher lustige Hexengeschichten als realitätsnahe, ernstere Romane gelesen. Rückblickend ist es mir aber klar geworden: Das Buch ist einfach wunderschön geschrieben. Es gibt Zeilen, die sich in meinen Kopf eingebrannt haben und noch immer darin herumgeistern. Und die Figuren mit all ihren Ecken und Kanten sind unglaublich toll ausgearbeitet. Allen voran Heidi als Protagonistin: Sie ist clever, neugierig und auf eine sympathische Art sturköpfig; sie will niemanden verletzen und belügen, aber sie merkt z.B. an einer Stelle, dass es ihr Spaß macht, einer wildfremden Person eine aus der Luft gegriffene Lügengeschichte zu erzählen.

Auch die Beziehungen und Interaktionen zwischen den Figuren sind so voller Wärme und Menschlichkeit, wie ich es nur selten in Geschichten lese. Gerade das Verhältnis von Heidi und Bernadette mag ich sehr: Sie gehen liebevoll miteinander um, sind aber auch ehrlich und direkt, werden wütend und streiten sich, versuchen dann aber doch, einander zu verstehen und vertragen sich wieder. Außerdem wissen sie sich aus schwierigen Situationen zu manövrieren und selbst mit widrigen Umständen umzugehen. So kann Bernadette zwar nicht das Haus verlassen, ist aber eine wahre Meisterin des Telefonierens und Briefeschreibens und organisiert so alles, was der kleine Haushalt benötigt. Und Heidi ist zwar noch sehr jung für die Herausforderungen, denen sie sich stellen muss, aber sie weiß ihre beinahe übernatürlich anmutende Glückssträhne in Zufallsspielen für sich zu nutzen.

In gewisser Weise hat die Geschichte etwas Märchenhaftes, denn Heidi begegnet auf ihrer Reise unterschiedlichen interessanten Menschen, die ihr alle wohlgesinnt sind. Dennoch – und dafür habe ich als Erwachsene sehr viel Wertschätzung übrig – gibt es darin keine Wunder. Das Ende ist hoffnungsvoll, aber es verzichtet auf jeglichen Kitsch in Form von Spontanheilungen, die sich durchaus angeboten hätten. Stattdessen bekommen die Figuren den Raum, ihre Gefühle über die Geschehnisse zu verarbeiten und kleine Verbesserungen im realistischen Rahmen ihrer Möglichkeiten zu erleben. Und das finde ich einfach sehr schön.

Das soll allerdings nicht heißen, dass es ein Happy End gibt. Tatsächlich ist dieses Buch eines der wenigen, die mich zum Ende hin so traurig machen, dass ich jedes Mal weinen muss. Gerade das Ausbalancieren dieser gegensätzlichen Emotionen ist aber für mich das, was dieses Buch so besonders macht. Liebe und Trauer, Wut und Neugier liegen hier so nah beieinander und werden so wundervoll erzählt, dass ich mich immer wieder gern davon mitreißen lasse.

Ich finde es nur schade, dass das Buch in seiner Rezeption oft darauf reduziert wird, dass es eine Geschichte über ein Kind mit einer geistig behinderten Mutter ist. Zwar ist es bei all den Geschichten über nicht-behinderte Eltern mit behinderten Kindern schon eine Besonderheit, wenn die Rollen mal umgedreht sind. Damit geht aber leider auch einher, dass das Buch vor allem als „schwierig“ wahrgenommen wird: Damals in der Grundschule habe ich es im Lesekreis als mein Lieblingsbuch vorgestellt und erntete von meiner Lehrerin Lob dafür, dass ich mir ein Buch mit so einem schwierigen Thema ausgesucht hätte. Eine Rezension spricht gar davon, dass das Buch durch die schwierige Thematik für Kinder gar nicht geeignet sei.

Als Zehnjährige habe ich es nicht als „schwieriges Thema“ empfunden, und auch nicht als so zentral, wie es dargestellt wird. Die Behinderung der Mutter ist nur ein Aspekt von Heidis Geschichte – ein wichtiger, aber bei Weitem nicht der Einzige. Das Ganze ist auch keine Mitleidsgeschichte oder Inspiration Porn, vielmehr ist es für Heidi völlig normal, dass ihre Mutter bestimmte Dinge eben nicht kann und viel Hilfe benötigt.

Und es klingt vielleicht kitschig, aber So B. It ist immer noch ein Kinderbuch, deshalb sage ich es trotzdem: Es ist vor allem eine Geschichte über Menschen. Menschen, die ihr Leben auf unkonventionelle Weise meistern und sich lieben, auch wenn ihr Wort für Liebe ein anderes ist.

1527/1527 uralten Jelly Beans im Glas

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert