"Himmel, der nirgendwo endet" von Marlen Haushofer. Das Cover ist dunkelblau und darauf verschwommen abgebildet ist eine Frau in einem blau karierten Kleid und mit dunklen, zu einem Knoten gebundenen Haaren, die das Gesicht zum Himmel gerichtet und die Augen geschlossen hat. Der Titel ist in großen Buchstaben über sie gedruckt, darüber steht "Marlen Haushofer" und dazwischen "Roman". Rechts unten ist das Logo des Ullstein-Verlags abgebildet. Um das Buch herum ist herbstliche Deko wie Tannenzapfen und ein rotes Blatt angeordnet.


Kurzmeinung: Ein wundervoller, poetisch geschriebener Episodenroman aus der Perspektive eines Mädchens, das die Welt auf eine ganz eigene Weise wahrnimmt.


Meta ist zweieinhalb Jahre alt, als die Erwachsenen sie zur Strafe in eine Regentonne setzen, weil sie ihnen bei der Heuernte im Weg war. An dieser Stelle beginnt die Geschichte eines kleinen Mädchens, das mit viel Neugier und Fantasie die Welt um sich herum erkundet und dabei versucht, sie zu ordnen und zu verstehen.

Dabei spielen gleichaltrige Kinder oder die Schule kaum eine Rolle; im Zentrum stehen ihr Verhältnis zur Natur und zu dem Forsthaus in den Alpen, in dem sie mit ihrer Familie lebt. Und die Welt der Erwachsenen, die ihr immer wieder Rätsel aufgibt. Warum wird sie von ihrer Mutter bestraft, weil sie angeblich frech war, obwohl sie doch gar nichts Böses im Sinn hatte? Warum darf sie bestimmte Bücher nicht lesen? Warum wird die Mutter immer ärgerlich, wenn der Vater ihr Geschichten aus dem Krieg erzählt? Und woher kommt das Baby, das eines Tages plötzlich da ist und ihr kleiner Bruder sein soll? Fasziniert beobachtet sie auch die unterschiedlichen Gäste, die immer wieder im Forsthaus zu Besuch kommen: Onkel und Tanten, Jäger, Tagelöhner, Hausierer, manchmal auch eine Adelige aus der Stadt – von der Meta aber sofort merkt, dass sie etwas Böses an sich hat.

Auf poetische Art und Weise erzählt das Buch lose Episoden aus Metas Leben, die einen ganz eigenen Blickwinkel auf die Geschehnisse um sie herum hat. Das liest sich – auch ohne einen klassischen Spannungsbogen – ganz wunderbar; ich hatte das Gefühl, selbst mit Meta auf Entdeckungsreise zu gehen und mit einer ganz neuen Neugier und Verständnislosigkeit auf die Welt zu blicken, obwohl ich als Erwachsene ja weiß, warum viele Dinge so sind, wie sie sind.

Dabei eckt Meta immer wieder an: Zum einen durch ihre direkte Art, ihre Neugier und ihre Schwierigkeiten, ihre Gefühle auf konventionell akzeptierte Weise auszudrücken. Zum anderen dadurch, dass sie mit den geschlechtsspezifischen Erwartungen der damaligen Zeit – das Buch erschien im Jahr 1966 – nichts anfangen kann. Warum soll sie häkeln lernen, statt sich draußen im Matsch zu wälzen? Warum gilt es auf einmal als unschicklich, den Schulweg gemeinsam mit den Jungen zu gehen? Und warum klingt die Aussage „So wirst du keinen Mann finden“ wie etwas, das sie stören sollte?

Durch die episodenhafte Erzählstruktur, die poetische Sprache und die fehlende konkrete Altersentwicklung Metas – zu Beginn ist sie ein Kleinkind, am Ende steht sie am Beginn der Pubertät, aber ihre Erlebnisse dazwischen werden (außer in der ersten Szene) nie an einem bestimmten Alter festgemacht – erhält die Geschichte etwas Verwischtes und geradezu Magisches. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass es ewig so weitergehen könnte und Meta immerzu neue Kuriositäten entdeckt.

Aber natürlich geht jede Kindheit einmal zu Ende, und auch hier verfliegt am Schluss der Zauber, der sich bisher durch Metas Leben gezogen hat. Das ist so wunderschön bittersüß geschrieben, dass ich das Buch mit dem Gefühl beendet habe, gerade eine richtig gute Geschichte gelesen zu haben.

5/5 Gespenstern hinterm Ofen